Gespräche 1994 - 1995, erschienen in Terz, Düsseldorf (Auswahl):

mit Roy Davis Jr. 1995, Andreas Dorau 1995, Jörg Heiser Svevo 1994, Schorsch Kamerun, Ted Geier Die Goldenen Zitronen 1994, Nico Haupt Radio Exstasy 1994, The More Extended Versions 1994, über Kurt Cobain 1994.

...> Texte & Gespräche


ROY DAVIS JR. I' ve seen the future.

"Oh, Country-Music. Ich mag sie wirklich nicht. Diese Szene ist auch noch richtig groß in Chicago. Ich stand mit einem Freund in einem Club und wir scherzten, daß wir zu einem Country-Song Housebeats dazupacken. Und dann lande ich hier in Deutschland und höre diese "Rednecks" - o my goodness, somebody actually did it."


I've seen the future. Zumindest one part of the phuture: Roy Davis jr., der als Radikal Fear DJ die Clubs tourt.
Davis hat die klassische Chicago-House Biografie: drei Geschwister, mittelständisches Elternhaus, Klavierunterricht. 1983/84 begann er mit dem DeeJaying. Er hörte Farley Jackmaster Funk's Radiosendungen und wollte dann selbst Housetracks produzieren. Ein Umzug in die suburbs von Chicago sollte dazu die nötigen Kontakte bringen.

"Wir zogen raus nach University Park, und eines Tages kam ein Typ zu uns, um meine Schwester zu besuchen. Ich dachte, den kenne ich irgendwoher."

Der Typ war DJ Pierre - damals ein local hero, der auf allen Parties Platten auflegte.

"Er lud mich ein, ihn mal zu besuchen. Das tat ich, und er deejayte in einer Garage, Spanky war dabei und er hatte eine drummachine und programmierte beats. Das puschte mich so, selber tracks zu machen, aber ich hatte ja kein Equipment. Pierre ließ mich dann seine Geräte benutzen."

Davis deejayte dann neben Lil Louis und Frankie Knuckles im Club des Bismark-Hotels, dort lernte er Armando kennen, und der machte ihn bekannt mit Marshall Jefferson. Name-dropping, galore... In der Zwischenzeit bekam DJ Pierre einen Platten-Vertrag bei für sein Projekt PHUTURE und lud Davis ein, sie zu produzieren.

"Ich machte damals einen track nach dem anderen und dann "Rise from the grave" zusammen mit Spanky und Pierre für Strictly Rhythm."

Das war erst mal ein Hit. Auf der 12inch vielleicht der erste Wild Pitch Mix - eine von Pierre und Davis entwickelte Technik, bei der sie während des Abmischens (oder Deejayings) die Equalizer rauf und runter drehten, um ganze Frequenzbereiche ein und aus zu blenden - was im House vielleicht das machte, was Dub im Reggae tat (naja, so im Ansatz...). Bis heute produziert Davis für Strictly - u.a. PHOTON INC, ROY DAVIES PROJECT, THE ORIGINAL CREATORS oder für REEL TO REAL einen "I like to move it" - Remix. Daneben arbeitete er mit Projekten wie THE BELIEVERS, INSIGHT OUT oder MY MY MY.

"Eines Tages stand Felix plötzlich vor meinem Haus. Er hatte einen Lil Louis Remix von mir gehört und kam an: "Heh, what's up!? You know me, I'm Felix!" Ich sagte ich hätte seinen Namen zwar gehört, aber kein Stück von ihm. Er hatte noch nichts veröffentlicht außer Phantasy Girl. Wir machten dann zusammen ein paar tracks für Nervous, RADICAL NOMADS und sowas."

Eine einzige große Familie...

"Ja, so war das. Viele Leute waren in der House Music Sache drin, auch viele Produzenten, die erst jetzt so nach und nach rauskommen."
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Bochum - Köln - Berlin

Felix da Housecat gründete letzten Sommer Radikal Fear - als Sublabel von Play it again Sam, das sich bereits nach einer Handvoll Veröffentlichungen als gleichwertig neben Dance Mania, Relief oder Cajualetabliert hat. Das erste Package also unterwegs in Europa: Felix, Armando, Mike "God made me funky" Dunn und eben Roy Davis jr.

In Bochum hast Du einen völlig anderen Set gespielt als heute in Köln. Im Planet wechseltest Du vocal-tracks mit eher klassischem Chicago-Acid ab. Hier jetzt war es doch einiges härter.

"Ich versuche verschiedene Sachen, experimentiere ein bißchen..."

Also nicht, daß Du eine Vorstellung vom Kölner Publikum hattest.

"Nein, nein. Aber es stellte sich als ziemlich nett heraus, das auf ganz unterschiedliche flavors reagierte, und da dachte ich: heh, wie wärs mit ein paar tracks. Ich mag tracks, die was härter sind. Also in Chicago spiele ich Vocals, dann tracks, dann vielleicht ein bißchen was New-Yorkey-Kiddy-Go-Go-Style-Harder-Hitten-Teutonic-Beats. Das in Bochum war Marshall Jefferson Style. Er lehrte mich vieles, auch über das Business. He showed me the road, helped me through ups and downs. Wie DJ Pierre, der lehrte mich: stay focussed - in Momenten, wo ich dachte, ich kann das nicht weiter machen, I felt the love for it, aber ich hatte kein Geld mehr. Zur Zeit läuft alles gut, ich liebe es, und es fehlt eigentlich nur noch ein Hit, who blows your mind."

Die Chancen dazu stehen nicht schlecht, denn die Nachfrage in Europa scheint nicht abzubrechen. Rosario, Jefferson, Cajmere, Pierre - zur Zeit überhaupt kein Problem jede Woche mal eben die eine oder andere Chicago-Legende hier in den Clubs zu hören. Beispiel Armando, der erst im Januar hier war, jetzt mit Radikal Fear und im Mai - von Strictly Rhythm präsentiert - schon wieder. Wer da jetzt inflationär! und Ausverkauf! schreit, irrt, denn das war vor Jahren: als die major companies House brutal zu vermarkten suchten, dann der Musik einen schlechten Namen gaben, worauf nach der folgenden Massenentwertung zahlreiche Künstler und Labels auf der Strecke blieben. Heute sind alle vorsichtiger geworden, und die Kartelle werden - soweit wie möglich - draussen gehalten. Mal abgesehen von einzelnen Chartbreakern wie jetzt Real 2 Reel, ist es ein underground thing mit vielen kleinen eigenen Labels, Vertrieben, Plattenläden, Clubs, Magazinen. Und wie nebenbei wird eine gute Platte nach der anderen veröffentlicht.

Dein neues Album...

"Das habe ich auch gemacht um die ganze Vielzahl von unterschiedlichen Stilen mal zusammen zu zeigen, also vocals, Saxofon, tracks...Also ich liebe ja Acid, aber eben auch das Saxofon. Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie, und manchmal will ich der Welt einfach zeigen, daß ich auch "spielen" kann. You know, it's not all noise all the time, you got to be able to show some skills or House music won't go to the next level. Viele Leute, vorallem in New York, verstehen die underground tracks nicht. Weil sie nicht wissen, wie sie in einem Club klingen, richtig laut, und die fragen dann, "wie kannst du einen Song mit Saxofon machen und dann einen nur mit noises". Ich denke, Du kannst nicht nur einen Sound fahren, sonst bist Du ganz schnell draussen.

Zur Zeit arbeite ich auch noch mit L. Williams und Proffessor Traxx an einem Creators of Deepness Album. Wir haben die Single "Midnight Passion"auf Power Music draußen. Und ich bin die Welt am Touren, mache soviele DJ-Gigs wie ich kann: touch the dancefloor and hopefully my music can touch the people."

Das neue Phuture Album...

"Kommt auch auf Power Music raus, im Sommer. Spanky ist dabei, Proffessor Traxx. Pierre schreibt ein paar Stücke dafür und DJ Skull ist auch mit dabei."

Werdet ihr auch live spielen - nach diesem seltsamen Berlin Gig?

"Oh, Berlin, ja das war bad. Die stellten uns ein brandneues Mischpult hin und hatten dann keinen Powersuplier dafür. Tauschten das deshalb gegen ein grauenhaft altes Teil aus, Spanky stand da "This is Cocaine speakin'" seine Stimme kam nicht rüber, die Lautsprecher fielen aus. Skull und ich waren die einzigen, die mischen konnten, dann fielen die Monitore aus, Spanky sagte "wir können die Show nicht beenden" Ich mußte dann erklären, warum ich es nicht alleine machen könnte: "it's a group thang, one person can't take the blame". Aber ich garantiere, the next show will blow your mind... Das war auch das erste Mal daß wir sowas zusammen gemacht hatten. Ich mochte es, trotz des ärgers und aller Gerüchte. Next time, they will see, they will see."

Phuture's "Acid Tracks" erschien 1987. Der britische Journalist Stuart Cosgrove beschrieb, was er da aus Chicago hörte, als a 'deep', highly synthesised sound, which evoked strange, almost drug-induced images. Großen Anteil daran, daß "Acid Tracks" zu dem wurde, was es wurde, hatte Spanky's sonorer Sprechgesang:
THIS IS COCAINE SPEAKIN/ I MAKE U DO ANYTHING FOR ME/ I MAKE U CRY 4 ME/ I MAKE U FIGHT 4 ME/ I MAKE U STEAL 4 ME/ I MAKE U DEAL 4 ME/ AND IN THE END / I M YOUR ONLY FRIEND.
"Acid Tracks" markierte den Beginn der Acid-House Welle, die dann über England auch auf den Kontinent schwappte - von den ersten Raves in den Rave-Club (not only, aber hier in unserer Ecke eben).

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Chicago - Detroit - New York

Wie lebst Du heute in Chicago...

"Die Stadt ist wirklich gewalttätig und gefährlich. Drugs and Violence. Befeindete Gangs, die sich gegenseitig abknallen - oder Dich, wenn Du dazwischen gerätst."

Bei bestimmten Detroit-tracks meint man ja so 'was zu hören. Aber selbst die härteren Chicago-tracks sind im Vergleich dazu weich.

"Naja, ich lebe in der Suburbia. Eigentlich leben alle Chicago-House Producer dort. Das heißt, Felix ist nach seiner Heirat in die City gezogen aber in ein okayes, friedliches Viertel.

Ansonsten kriegt Chicago zur Zeit noch eine Chance. Also die House-Szene. Cajmere macht viel mit seinen Labels, Proffessor Traxx und ich versuchten, Red Cat zu starten - wo Strictly uns dann plötzlich die versprochene Unterstützung versagte... Es kommen auch viele Leute aus England rüber. Und Jungle hypet hier. Ist nicht so mein Ding... Ich mag aber Detroit Music sehr gerne, Robert Hood, der sehr sehr perfect ist. He has a clean, a nice clean sound. Oder Kenny Larkin, dessen Platten laufen aber in Chicago nicht so gut. Oder Derrick May - he speaks for his self."

Und elektronische Tanzmusik außerhalb von New York, Chicago oder Detroit?

"Es gibt noch eine ganz gute San Francisco Szene, die so TripHop-Sachen machen. Aber die Seele unserer Musik, die kommt schon aus Chicago, New York, Detroit."

Das heißt, Du legst auch nur da auf.

"Ich spiele regelmäßig in Chicago im Red Dog und sonst auf vielen Rave-Parties."
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Silicon Valley

Was hat es mit der sprichwörtlichen Chicagoer Abneigung gegen Computer auf sich, grooven Rechner nicht genug?

"Weißt Du, wenn ich mit Computern arbeite, bremst mich das total. Das Gerät einrichten, wenn Du eine Idee hast, mußt Du sie eintippen, das braucht Zeit. You cant just go with the flow. Ich benutze einen MPC 60, der bietet so viele Möglichkeiten. ich kann alles in diese eine Maschine packen und die mitnehmen. Viele Leute - also jetzt in Berlin - waren enttäuscht, weil sie dachten, wir würden ja gar nicht live spielen, weil sie das Teil noch nie gesehnen hatten. Jetzt haben ich eine neue: MPC 3000. Die ist .... wicked."

Und wenn Du produzierst, hast Du da immer schon ein Label im Kopf...

"Also zur Zeit arbeite ich eben mit dreien zusammen. Mein eigenes Creators of Deepness, was von Dukes Power Music gestützt wird, dann Power Music selbst und Radikal Fear, wo ich Felix helfe, daß das Ding läuft."

Daß ihr schon unterschiedliche Generationen seid...

"Gar kein Problem. Ich bewege mich ja auch in unterschiedlichen styles. Da kommt auch noch ein Album von mir: BIONIC MEN, das ist gleichzeitig crap wacky hard und smooth. Mehr ein laid back listening album. Aber Mixes aus dem Album werden richtig hart werden. Für den Club."

Du schließt demnach auch keine Verträge, die über Dich als Artist verfügen, Du verkaufst einzelne tracks.

"Heh, ja klar. Ich will meine Freiheit behalten."
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Babylonia

"Is this for a radio-show?"

No, for a magazine.

"Ah, okay. Yeah, Jamiroquay, if you are listening out there, I wonna hook on you and do some funky stuff. I really like your kind of music."

...Oooops... Na, vielleicht liest er es ja.

BROTHERS, I KNOW YOU'RE STRUGGLING/ CAN'T GET A JOB/ NOWHERE 2 GO/ NOWHERE 2 HIDE/ DEALING WITH THIS RASCIST FIGHT/ BUT THE BIGGEST AND WORST FIGHT/ IS IN OUR COMMUNITIES/ OUR PEOPLE ARE CONFUSED/ SISTERS LIVING A LIE/ WITH THEIR FAKE BLONDE HAIR/ AND FAKE BLUE EYES/ BROTHERS LIVING A LIE SELLING DRUGS/ WHILE THEY WATCH BROTHERS DIE/ WAKE UP PEOPLE, WE MUST RISE/ RISE FROM YOUR GRAVES/ RISE FROM OUR GRAVES/

(Fotokamera: DJ Felix/Michaela Odinius; Auto: Rupert Huber; erschienen 05-1995, TERZ Düsseldorf)

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ANDREAS DORAU. Laß uns nicht über Pop reden...


... ich weiß gar nicht wie das geht. Das hätte Andreas Dorau mal früher sagen sollen. So reichten Sebastian Kutscher und Andreas Reihse dem fürchterlich Erkälteten Fisherman's Friends, heiße Krautwickel und die falschen Fragen.
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"Also ich hab unheimlich Schleim im Hals..."
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Andreas Dorau: Den Begriff POP mag ich ja gar nicht so gerne. Weil Pop heißt ja, auf jedenfall der breiten Masse gefallen wollen. Pop hat auch so einen 80er Appeal, wo man mit Pop-Musik auch mal 'ne bestimmte Art von Musik sich vorgestellt hat, und Pop Musik so wie andere Musikstile so einen Sound beschreibt, anstatt daß Pop Musik allgemein nicht-allzu-schwere Musik ist, die von vielen Leuten gemocht werden könnte.

Aber Du kannst den Begriff doch auch selbst wählen oder als Abgrenzung zu Rock mit dem ganzen Rockisten-Scheiß oder ihn dissident gebrauchen, und Du gehst ja auch mit Pop-Elementen um...

Dorau: Ja aber Pop Pop Pop ist halt irgendwie - ich weiß nicht - der Begriff ist irgendwie so komisch belegt.

Das Umfeld, das mit deiner Musik verbunden ist, jetzt auch die Bühne mit den aufgebauten Supermodells das ist doch POP...

Dorau: Ja klar, aber man kann doch das eine tun und trotzdem sagen... Ich mag den Begriff irgendwie nicht, kann das auch nicht genau definieren... Vorallem kann ich auch nicht sagen was es denn sonst ist. Das wäre schön, kann ich aber leider nicht.

Und der Glam...

Dorau: Ach so glamourös sind wir doch nicht.

Doch doch...

Dorau: ...

Als Schlüsselbild diese 5 Frauen auf der Bühne, die ja total diesen Glam-Aspekt verkörpern. aus der Versage-Anzeige raus...

Dorau: Ja, die Versage-Anzeige. Die ist natürlich populär, was ich beim Einskannen nicht mitbekommen habe. Aber wir wollten einfach so Frauen da haben. Hatten zuerst Fotos gesucht, so mehrere verschiedene, um unterschiedliche Aspekte abzudecken, das sah aber nach nichts aus. Nur zusammengeschustert. Und trashig wollen wir nicht sein. Und die fünf paßten halt schön zusammen. Ne, das ist kein großes ideologisches Ding.

Dann Reden wir eben nicht von Pop. sondern von Mode. Die Kombination von Musik und Text ist ja schon total unsere Zeit - vielleicht ist es ja ein Zufall, war nicht so berechnet, Ich weiß ja nicht mit vieviel Distanz du dazu stehst.

Dorau: Also wir wollen schon, daß unsere Sachen geschmackvoll aussehen und klingen. Geben uns an Details Mühe, um die sich andere Leute überhaupt nicht kümmern. Aber, wie gesagt, Pop - wir sind ja unter Vertrag bei 'ner großen Plattenfirma. Und da ist Pop dann eben Andreas Dorau und die Jeremy Days. Und das irgendwie... Nööö, nööö das möcht ich nicht.
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"Bringt das irgendwie was für'n Hals?"
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Aber Du hast schon 'ne Distanz zu Deinen Texten.

Dorau: Ja schon, ich schreibe keine Texte über das, was ich gerade am Vormittag erlebt habe.

(Kutscher hakt nach:) Also alles so fiktiv mehr oder weniger...

Dorau: Meistens gehts mit nem Sample los, oder es sind so einzelne Teile, die möchte ich gerne in' nem Stück drin haben, um die 'rum baue ich dann 'nen Text. Also nicht, daß ich rangehe: ich wollte ein Stück über dasunddas schreiben oder dasunddas ausdrücken, sondern das ergibt sich dann so und wird dann auch immer wieder umgestellt.

(Reihse bleibt dran:) Aber das hat doch was von Was -Du-am-Vormittag-erlebt-hast- oder -gelesen: Ötzi, Liebelei, Ozonloch..

Dorau: Ozonloch - "Die Sonne scheint" hatte ich - und dann eben so drum 'rum gebaut, was da so passiert, die Geschichte kam dann von selber. Als Geschichte kann man leichter Text schreiben, aber ich bin nicht rangegangen, daß ich jetzt 'ne Geschichte schreiben will.

Ist Dir also nicht so wichtig.

Dorau: Fünfzig -Fünfzig. Nicht: in erster Linie Text dann Musik.

Wie Du singst, welche Worte Du wählst - da ist ja auch immer so ein Zurücknehmen, nicht in Verantwortung geraten wollen...

Dorau: Ne will ich auch nicht, so da mit dem Zeigefinger vorne weg.

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"Brennt wie Hölle."
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Und darum läufst Du als Frau verkleidet durch Hamburg.

Dorau: Ich hab mich nicht als Frau verkleidet. Das ist 'ne Fotomontage auf dem Plattencover. - Ja, wie will man sich da als Mann präsentieren - ich hab' lange darüber nachgedacht und fand dann das sehr angenehm. Die Frau sah gut aus auf dem Foto, und da hab ich mein Gesicht reingesetzt.

Also nicht wie Karl-Heinz Rummenigge als kleiner Junge von den Eltern immer als Mädchen verkleidet worden, weil die eigentlich lieber eine Tochter wollten.

Dorau: Ne... Meine Eltern...also... Ich habe auch'ne größere Schwester. Ich fand das einfach schön.

Als Pop-Pose.

Dorau: Du meinst, wie sie dasitzt?

...sich da reinzusetzen.

Dorau: Das ist ja kein "sich verkleiden". Das Reinsetzen entspricht der Art, wie wir Musik machen: Samplen. Das fand ich dafür auch adäquat. Ne, Verkleiden find ich doof. Okay, wir hatten früher Bühnenkostüme, aber Verkleiden, in andere Rollen schlüpfen, Theaterspielen, das 'was vermitteln soll, das bin ich ja überhaupt nicht, das mag ich nicht. Das geht Richtung Kleinkunst, Cabaret, Stück-Illustrieren... Vielleicht solltet Ihr mich in einem Jahr nochmal nach Pop fragen.


.Du kannst es auch ausspucken.
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Dorau: ...

Was hast Du denn für eine HörerInnenschaft, sprichst Du denn wenigstens die Jugend an?

Dorau: Welche Jugend? Wir sind kein Act für Raver, keiner für HipHop Hörer, für Rockhörer ja schon gar nicht. Also wenn schon, dann gibts 'ne Verbindung zu Leuten, die mit Dance zu tun haben. Aber unsere Platte ist ja keine Dance-Platte, da gibt es nur so geistige Verwandtschaften. Aber nicht, daß wir Teil einer Bewegung sind.

Mit den Remixen entsprichst du dann ja schon gewissen Erwartungshaltungen.

Dorau: Das ist ja auch okay. Wir würden auf die Maxis auch nie unsere eigenen Remixe tun. Das soll seperat sein, auch mit anderem Coverdesign. Als Nebenprodukt. Wenn wir mit meiner Stimme arbeiten, wollen wir nicht in die gefährliche Ecke geraten, die heißt: hohes Tempo oder Clubtauglichkeit. Aber wenn wir denen ein kleines Fitzelchen überlassen, ist das okay. Wir hatten auch überlegt auf die Platte keine Remixe getan. Also wir machen ja nebenbei Dancestücke, aber unter anderem Namen. Das versuchen wir schon strikt zu trennen.

...

Dorau: Wißt ihr nichts mehr? ... Das tut mir ja leid, dass Ihr da... also mit Eurer Pop-Idee...

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Momente zwischen Gespräch und Gästeliste...
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Zu McDonalds, Pop-Burger kaufen und kauen, geduldig warten auf den Auftritt, um junge knackige Schulmädchen und mollige Beats zu konsumieren. McDonalds ist gastfreundlich: 5mal die gleiche Frontpage simultan lesen dürfen und das Einweg-Geschirr nicht entsorgen müssen - Gütertrennung - Sebi hat kein Kleingeld. Telefongespräch mit Köln, die Suche nach Spaß. Da kommt Pop-Birger ins gefährliche Spiel. Zurück zu Dorau zu Fuß, man trinkt virtuellen Sekt und steht auf der Gästeliste. Oder auch nicht. Angst und Zorn, Schuld und Sühne. Gedemütigt wie geschlagene Hunde sich selbst um die Ecke bringen. Ins WP 8. Hier läuft der Film zum Horror mit Freddy Krüger und ohne Zusammenhang. Clau's sie ihm doch endlich, die Eisenhand, Frau! Plötzlich klingelt das Telefon, vegetarische Leberwurst und ägyptische Haarschnitte rufen nach Bilk. Geldautomaten wollen bedient werden, der Anrufbeantworter sitzt locker und manches Wort fällt. Rückwärts im Taxi in die Gegenwart: Renzel muß zum Friseur, die Melody-Bar zurück in die DDR, und der Gee-Club ist ein nach alten Socken riechender Blues-Keller. Vorwärts zu einem Ort, wo wir zuhouse sind. Männer ins Auto (Ramrod) und Frauen aufs Fahrrad (auch Ramrod). Besser als.

(erschienen 03-1995, TERZ Düsseldorf)

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SVEVO. PETERSBURGER HÄNGUNG.

Bei der Geburt getrennte Cd-Cover, vlnr: Andreas Dorau, Andreas Dorau, Andreas Dorau und Svevo

Wir blenden uns ein in Reihse's Konferenz-Compuküche zum Gespräch zwischen Julia Friedrich, Birger Hübel, Andreas Reihse, Lars Bayer und Svevo's Jörg Heiser über Riots, Kanäle, Osteuropa, Musik, Die Autonomen, Stilpolitik und... SVEVO.

JA, WOLLEN WA' MAL LOSLEGEN. LÄUFT JA SCHON DIE GANZE ZEIT. SPUL DOCH NOCH 'MAL ZURÜCK.

Jörg Heiser: ... Blockflöte mit 8 Jahren, Querflöte mit 11 Jahren, Klavier mit 12 Jahren. Mit 18 habe ich dann aufgehört Klavierunterricht zu nehmen. Wir vier, also SVEVO haben schon '86 mit Musik angefangen, drei von uns waren in einer Klasse, der Schlagzeuger mit dem Gitarristen schon im Sandkasten. Ich habe damals Keyboards und Drunmcomputer bedient, das ist mir zu blöd geworden und ich hab mir 'ne Gitarre gekauft.

Das heißt auch ihr habt andere Musik gemacht.
Jörg Heiser: Total. Wir haben zwei Jahre gebraucht, um zu kapieren, was ein Song ist. Hatten eher 'ne psychedelische Herangehensweise: Drumcomputer an, Sequencer an und dann Bass dazu. Das war alles tastend und total eklektisch - jeden Scheiß ausprobieren. 2 Jahre learning by doing, 'ne Band gegründet bevor wir Instrumente spielen konnten. Heute wohnen wir alle in verschieden Städten und sehen uns nur zum Proben. Nicht daß wir jetzt so 'ne Muckerband sind, wenn jetzt jemand aussteigen würde, egal wer, wäre das erstmal ein ganz schöner Einschnitt.

Das ist aber schon ein Problem, daß das ''die Band von Jörg Heiser'' ist, oder?
Jörg Heiser: Wenn da jemand den Einstieg darüber kriegt, daß ich für Heaven-Sent oder Spex schreibe, ist mir das wurscht, solange eben nicht die Band auf sowas wie 'ne Redaktionsband reduziert wird, Diedrich-Diederichsen-Experience oder so. Nicht daß mir sowas nicht gefällt, sondern weil SVEVO halt nicht das Freizeitvergnügen eines Redakteurs ist.

Ich habe da Schwierigkeiten das bei den Stücken rauszuhören, wie da so die gegenseitigen Einflüsse sind.
Jörg Heiser: Die Texte sind schon alle von mir. Die Grundstruktur der Musik auch, aber nicht wie das arrangiert wird, deswegen steht da ''Text und Musik: SVEVO'' weil da alle für einstehen.

Du stellst Deine Texte zur Diskussion?
Jörg Heiser: Wenn jemand Einspruch erhebt, dann bin ich bereit da was zu ändern. Ich stell mich hin und spiel was vor, was am Ende herauskommt, kann schon ziemlich von dem divergieren, was ich mir am Anfang vorgestellt hatte. Synergie live. Ich kann mich mir auch gar nicht vorstellen so als Singer-Songwriter alleine auf der Bühne, ich fühle mich nur wohl, wie das jetzt in dieser Band funktioniert.

SCHÖNE PASSAGE FüR DIE TERZ JETZT.

Jörg Heiser: Ich bemühe mich gerade live meine Texte ziemlich akzentuiert zu bringen, wer sie verstehen will, kann es auch, und wer es nicht will, für den ist da immer noch die Musik und der Klang der Wörter. ''Petersburger Hängung'', da muß man nicht gleich wissen, was das ist, das kann man auch als Klang okay finden. Wenn ich mir überlege, warum habe ich diesen Song so genannt, dann nicht, weil das in der Kunstgeschichte die-und-die Bedeutung hat, sondern, das Bild, was ich im Kopf hatte, war eben eine Petersburger Hängung, und dann hatte ich dieses Wort dazu und das kam in einer Zeit als Leningrad in St. Petersburg umbenannt wurde und in L.A. die Riots waren, wo Leute in die Shops gegangen sind und das, was sie nur auf Bildern gesehen hatten, sich genommen haben; die von der Werbung nur gesagt bekamen: ''Eure Armut kotzt uns an''. Der Gegenzug kommt danach: ''Plündert Petersburger Hängung''...

Hab ich das im Text gelesen....?
Jörg Heiser: ''Petersburger Hängung'' auch als Bild dafür, was im Osten abgeht. Zu sagen ''Mauer runter'' ist dann wie ein Dammbruch, wo die ganzen Währungen und ökonomischen Systeme zusammenbrachen und im Gegenzug kriegt man dann einen Grundig-Fernseher oder kriegt ihn eben nicht.

Aber die Riots in L.A....
Jörg Heiser: Das kannste aber schon mitkriegen, das ist ja nur ein anderes Symptom für das gleiche kapitalistische System, war zeitlich kongruent und zu der Zeit habe ich den Text geschrieben.

Also für mich klang der Text eher nach Imperialismus-Kritik.
Jörg Heiser: Ja, Imperialismus in dem Sinne, daß z.B. Volkswagen in Brasilien 'ne Firma hinstellt, wo die Leute Autos zusammenbasteln, die sie sich selbst gar nicht leisten können. Oder daß in Osteuropa überall Supermärkte aufmachen und die einzigen die davon profitieren sind die, die die Konsumgüter herstellen. Kapitalistische Politik der verbrannten Erde, dieses Robert-Kurz-Ding. Und: Nichteinmal-mehr-ausgebeutet-zu-werden gilt eben auch für die Leute in South Central: Das kapitalistische System interessiert sich nur noch insofern für die, als die dann das, was sie sich meinetwegen durch Drogenverkauf leisten können, in einer Corvette anlegen oder in einer AK 47.

Schöne Passage für die Terz jetzt.

REDEN WA' DOCH MAL ÜBER DIE MUSIK...

Die Musik? Sehr amerikanisch...
Jörg Heiser: Ja, würde ich auch sagen. Aber was ich eigentlich nie höre, ist, das klingt wie die und die Band. Also bei den Texten kommen zwangsläufig Vergleiche mit Hamburger Bands. Bei der Musik...

... THIN WHITE ROPE...
Jörg Heiser: ...womit ich sehr gut leben kann. Was neulich auch mal kam, war AMERICAN MUSIC CLUB. Also US-Rockbands, die sich zwischen den beiden Polen Wüsterock und Songwritertum bewegen, ohne in einem wirklich aufzugehen,...

...und sehr gut spielen können...
Jörg Heiser: ...so als Band psychoakustisch wuchtig rüber kommen.

Und Britpop?
Jörg Heiser: Ja, weil wir nicht mit GIANT SAND sozialisiert sind, sondern mit SMITHS und nicht mit NEIL YOUNG sondern mit... hmm...

BILLY BRAGG? PAUL WELLER?
Jörg Heiser: Hmm. Ne, is' ja auch egal. Aber SMITHS und FELT haben immer noch im Hintergrund gestanden, als wir Verzerrer und kranschige Gitarren für uns entdeckt haben, als die erste MUDHONEY rauskam, DAS DAMEN, DINOSAUR J. im Gange waren, das war schon so'n Kick. Wir hatten auch mal 'ne Phase wo wir breakreich gespielt haben, das ging uns dann selbst so auf die Nerven und das haben wir dann wieder zum Song hin zurückgenommen. Und jetzt nach der CD gehts auch wieder mehr zu so was wie AMERICAN MUSIC CLUB als zu so was wie SOUNDGARTEN, wo einfach so die Suppe am Kochen sein soll. Ham'wa natürlich auch, daß auch mal wirklich die Wutz abgehen muß, aber nicht als oberstes Primat.

Wie ist das so bei ''Eher Uncool'' mit SPIN DOCTORS?

EHER COOL

Jörg Heiser: Da hab ich eher an URGE OVERKILL Overkill gedacht. - SPIN DOCTORS???

Nicht musikalisch, sondern eher von der Stilpolitik her.
Jörg Heiser: Ne, das hat viel mit unserer Sozialisation zu tun, in der Provinz Mainz. Die erste Form von Abgrenzung war New Order hören oder Smiths und sich gegen die lila Pause abgrenzen im Schulhof, also die Ökofraktion, die in den Gymnasien erste waren, wenn's darum ging, politisch zu sein, im Sinne von konkreter Aktion, altbacken Flugblatt verteilen. Da hat man sich dann auf so 'ne komische Dandyhaltung begeben und einen weiß-pubertären Begriff von Cool dabei gehabt. Also ich bin jetzt cool, wenn ich nicht kommuniziere. Was ja auch erstmal 'ne Errungenschaft war, daß ich nicht mehr meinte, mit meinem Sozialkundelehrer diskutieren zu müssen.
So diese 82er Popschiene von Coolness also nach außenhin affirmative Abgrenzung. Daß dann aber irgendwann, wenn man älter wurde, das Gefühl aufkam: Scheiße. Dieses ''Knapp verraten ist auch verbraten'' heißt dann eben an so 'ner bestimmten Stelle, dann einfach das nicht mehr geschichtlich denken, nicht mehr in dem Zusammmenhang, in dem man steht, sondern als Essenz: Weitertragen von Coolness ohne mitzukriegen, daß das an bestimmten Stellen einfach nicht mehr funktioniert.

'86, '87?
Jörg Heiser: Diese Erkenntnis kam später, würde ich jetzt ehrlicherweise sagen wollen. Das kam in Stufen, richtig dann erst mit der Heaven-Sent, wo ich mir dann so Fragen gestellt habe wie, was ist Sexismus.

'86, '87 nur, weil da ja auch diese Yuppies die Scheißcoolness adaptiert haben, dieses kackige Neoliberale Denken...
Jörg Heiser: ...daß Joachim Lottmann dann für so'n FDP Abgeordneten gearbeitet hatte. Es gab ja auch so Phasen, wo man ''Wählt FDP'' gesagt hat. Diese ganze Form von sophisticater zynischer Ironie hab ich irgendwann abgelehnt. Wobei ich dazu sagen muß, wir waren so zwischen 16 und 18, also nicht diese Brian Ferry-Martin Fry-Diedrich Diederichsen-Fraktion sondern die Pickelface-is-back-in-Town-Morrisey-Fraktion. Mir fällt das vorallem deshalb auf, wenn ich Sachen von damals plötzlich völlig anders höre. Z.B. alte Fehlfarben-Texte: ''Coca-Cola-Sonne'' ist das ironisch gemeint? -oder Sexismen, die man völlig naiv mitgefressen hatte.

Wie ist das bei Deinen Texten. Du arbeitest ja auch auf verschiedenen Sprachebenen, also mit Zitaten, Sprichwörtern, Wortverdrehungen, universitärem Jargon und dann so was wie ''Du Jungorchidee von der Großgrundplantage/ wer hat Dich gepflückt''?
Jörg Heiser: Ähh, '' Jungorchidee von der Großgrundplantage'' ist gerade aus einem akademischen Text. Da gings um Habermas - in irgendeiner Texte zur Kunst. Auch egal. Was mir wichtig ist, daß da bestimmte ''Ichs'', die ich benutze, nicht ich bin. Ganz hart in ''Und Du bist weg'', das sage ja nicht ich ''na dann sag mal schön auf Wiedersehen/ Ich will keine Klagen hören'' da spricht natürlich der Kapitalismus. Also das sind nicht nur Personen, sondern auch Sinnzusammenhänge. Nicht so, daß ich schreibe und dann sage ''jetzt wechsle ich mal die Erzählhaltung'', das schreibt sich eher selbst.

Und wie kriegst Du das zusammen, 'ne Anspielung auf Texte zur Kunst und dann...
Jörg Heiser: Das ist keine Anspielung, das ist einfach nur geklaut, das ist Material, da interessiert dann auch nicht der alte Kontext, das ist nur genau das Bild, was ich brauche.

NOCH 'NE SCHÖNE PASSAGE FüR DIE TERZ.

Ich war ja enttäuscht, daß in ''Kanalarbeiter vor'' wahrscheinlich ein ''Arbeiter in den Kanälen'' gemeint ist und kein real Kanalarbeiter.
Jörg Heiser: Ähh was?

Wir wollten Dich hart angehen, wegen Arbeiterklassen-Verrat...
Jörg Heiser: ...?

...genau, die Arbeiterklasse an die ''Jungorchidee im Hörsaal'' verraten!
Jörg Heiser: ...??!?!

Nein. Da war aber schon die Frage nach der Perspektive. Diese Schwierigkeit von universitärem Arbeiten oder des Intellektuellen und seine Erfahrung mit dem Kanal und den Kanalarbeitern.
Jörg Heiser: Also Kanalarbeiter steht auch schon für so was wie ''Reales'': knee deep in shit... Wer was bewegen will, muß in die Scheiße reinspringen. In dem Sinne schon ein antiakademisches Lied, das eben in Frage stellt, ob man nur im Akademischen Zirkel verhandeln kann. Was beispielweise auch bell hooks im Heaven-Sent Interview betont, daß zumindest das Bemühen da sein muß, sich in die Zonen zu begeben, wo Meinung gemacht wird, sich der Gefahr auszusetzten vom Mainstream verschluckt zu werden.

Der Kanalarbeiter im real shit ist dann doch wieder Metapher: das ist doch wieder ein intelektueller Kunstgriff...
Jörg Heiser: Also, daß ich da nicht schreibe ''Medienleute vor'' hat ja schon seinen Sinn. Die Assoziation mit 'ner Lampe durch die Scheiße zu waaten; das ist es auch, das ist nichts Angenehmes. Und es ist vorallem wichtig, daß ich das nicht so Realo/Reformistisch meine, man müsse jetzt gucken, daß man auch im ZDF auftaucht, von mir aus, kann man gucken, daß man auch im ZDF auftaucht, aber nicht therapeutisch, sondern in dem Sinne, daß man stört; oder auch nicht: jetzt schreibt doch endlich für den Spiegel, damit der besser wird... sondern: tut Dinge, die sich nicht verwursten lassen im Mainstreamdiskurs, aber an denen er nicht vorbeikommt, an denen er sich verschluckt! Und das ist sehr schwierig.

Aber diese Gedanken machen sich ja auch Leute...
Jörg Heiser: Ja, durchaus auch Autonome oder so, wo man immer so denkt, die sitzten alle da und machen ihre Flugblätter und merken garnicht, daß das keiner so richtig mitkriegt, der es nicht eh mitkriegen will. Die machen sich ja auch Gedanken zu Aktionen, die die Medien nicht verwursten können. Als damals in Berlin die politsche und intellektuelle ''Elite'' gegen Fremdenhass demonstrierte, also Kohl, Habermas, Antje Vollmer... und dann eben Eier flogen und alle ganz furchtbar aufgeregt sich als ''Kriegs-Opfer'' mit Eiern beschmiert fühlten, da habe ich ziemlich lange gebraucht, um mir darüber klar zu werden, ob ich das nun gut fand oder schlecht; gut, daß man 'ne Sichtbarkeit von radikaler Linke hergestellt hat, aber wie man die hergestellt hat, da war ich mir nicht sicher, weil das umdeutbar war in reine Randale gegen Obrigkeit. Hätte Habermas, selbst wenn er sich hingestellt hätte und gesagt: ''alle Grenzen öffnen!'' auch ein Ei an die Stirn gekriegt...

... der hätte sich doch nie hingestellt...
Jörg Heiser: Er hat sich natürlich nicht hingestellt, weil er wohl so auf SPD-Linie ist, aber mal angenommen er oder jemand anders hätte es getan... Also war diese ganze Aktion der grundsätzliche und irgendwo auch berechtigte Impuls gegen Obrigkeit oder war ganz klar, das sind Heuchler, die stellen sich da hin gegen Fremdenhass und verabschieden gleichzeitig ein Gesetz, das Fremdenhass schürrt. Das wurde eben in den Eiern nicht ausgedrückt, wäre es da nicht sinnvoller gewesen nach Vorbild des ''Blut-Attentats'' auf diesen General rote Farbbeutel zu schmeissen, was als Symbol signifikanter gewesen wäre. Eier heißt ja, da is' was faul, was man mit Politikverdrossenheit kurzschliessen kann. Mit Farbe hätte es geheißen, die haben Blut an ihren Händen, während die hier stehen, verrecken die Leute, die sie abschieben. Kanalarbeiter sind dann eben nicht nur Medienleute, sondern auch Leute, die etwas tun, was dann in den Medien auftaucht und sich auch die Frage stellen müssen, wie das auftaucht.

In ''Ascher D'' stehst Du im Kanal...
Jörg Heiser: Ja, aber da ist auch noch der andere Anschluß: ''So will ich nicht/In letzten Zügen rausgebracht/Ich hab noch nicht mein Kreuz gemacht'', also im Grunde das, was Andreas Fanitzade bei einer Wohlfahrtsausschuss-Veranstaltung zu Günther Jacob gesagt hat: wenn Du die Unterscheidung nicht mehr triffst zwischen dem völkischen und dem nationalen Block in Deutschland, also zwischen denen, die in Lichterketten stehen, und denen, die Asylbewerberheime anstecken, dann kannst Du, wenn Du konsequent bist, nur ins Exil gehen oder in den Untergrund. Und ich bin eben noch nicht so weit, daß ich sage, ich muß ins Exil gehen. (als kleiner Kasten: SVEVO und SUPERBILK live 9.12.94, 21h Kunstakademie Düsseldorf.)

(erschienen 12-1994, TERZ Düsseldorf)

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DIE GOLDENEN ZITRONEN. Blick zurück nach vorn.

"Wir denken in Platte."


DIE GOLDENEN ZITRONEN haben eine neue Platte veröffentlicht. Wie geht das denn 1994? Also doch forever punk? Und die 80.000 000 Hooligans und MOTION und DIE STARS und 3 NORMAL BEATLES und LES ROBBESPIERRES??? Fragte Andreas Reihse sich, Ted Gaier und Schorsch Kamerun.

Ted: Das sind Nebenprojekte. Wenn wir uns auflösen, lösen wir uns richtig auf - ohne Revival. Aber eigentlich wollen wir uns nie auflösen.

Schorsch: Das sind Ventile für das, was bei den ZITRONEN nicht reinpasst. Aber es ist auffällig, wenn man wenig Konzerte spielt, dass man da ziemlich schnell in Vergessenheit geraten kann. Wir haben auch nie gesagt, jetzt machen wir mal Pause und jeder darf sich seinem Krempel widmen, das lief nebenher. Was live spielen angegeht, da hatten wir wirklich keinen Bock mehr.

Wegen des Publikums oder des ewigen Reproduzierens der gleichen Stücke?

Schorsch: Wegen unseres Images, gegen das wir ankämpfen mussten, und auch der Erwartungshaltung des Publikums, was die hören wollten.

Ted: Die Porsche, Genscher, Hallo HSV verkauft sich alle 20 Stunden. Die anderen Platten haben ihr Limit nach zwei Monaten erreicht. Porsche, Genscher... ist vor nem Jahr über die 50.000 gekommen. Davon bezahlen wir unseren Steuerberater.

Ihr lebt vom Musikmachen?

Ted: Zur Zeit nicht. Das ist enger geworden. Unsere Auflagen sinken auch ständig, Die neue hat 'ne Auflage von 6000.

Schorsch: Mittlerweile ist der break-even point, ab dem wir was verdienen, immer höher. Allein die Zeitung zu dieser Platte kostet soviel wie die ganze restliche Produktion.

Die ZITRONEN - neben all den Bandprojekten - spielen kleinere Rollen in Filmen (u.a. von Peschel), jobben als Kellner. Schorsch hat den legendären PUDEL-CLUB als feste Kneipe auf der Hafenstrasse reinstaliert. Vor Jahren sollten die ZITRONEN das Vakuum des ÄRZTE-Rücktritts füllen. Alle grossen Plattenfirmen unterbreiteten ihnen Angebote. Auch heute würden sie sofort einen Vertrag kriegen, 6 - 8000 Platten verkauft kaum eine andere Indie-Band.

''WHEN TEKKNO TURNS TO ...''

Wie dem auch sei. Bands wie die Goldenen ZITRONEN, die mit ihren ästhetischen Vorstellungen auf dem Weiterbestehen von Vinyl und Analogtechnik, also der unbeschränkten Vielfalt der Soundmöglichkeiten beharren, werden auch weiterhin das Banner der Wahrhaftigkeit im Kampf gegen die vielköpfige Hydra der Midi-Lüge hochhalten... schreibt Peter Wacha in der Plattenzeitung.

Ängstliche Mythologiesierung von neuer Technik, um sie abzuwehren? Muss man sie nicht vielmehr anwenden können und kontrollieren, um - auch ästhetisch - nicht nur für Gestern zu sprechen?

Ted: Naja, das ist natürlich Polemik. Worum es geht, ist die Art und Weise wie die Industrie ihre Monopolstellung bei der CD ausspielte. Das geht ja noch weiter zu CD-Rom, Datenbänke... Das ist die Lüge vom Kapitalismus, der einem alle Möglichkeiten gibt, die vorhanden sind, auch zu nutzen - so ist es eben nicht. Und was unter den Tisch fällt, sind eben Künstler für die das zum Konzept gehört, also Plattencover oder auch Analog-Sound. Die Möglichkeiten bestünden ja weiterhin, das sind eben ökonomische Interessen, die dagegen stehen. Diese Platte wäre einfach digital nicht möglich gewesen. Sogar das Tekknostück ist analog. 8-Spurmaschine, das kann man hören, das ist mit Wahrhaftigkeit gemeint. CD ist eben sowas wie Animation, digitales Nachbauen des ''Echten''.

Schorsch: Wir denken in Platte. Wir vernachlässigen die CD, wie die aussieht oder klingt. Trotzdem ist das Verhältnis CD-Vinyl: 80:20.

Ted: Ich bestehe zumindest darauf, dass unsere Käufer entscheiden können.

Also keine prinzipielle Technikfeindlichkeit.

Schorsch: Also wenn man ein Studio betritt schon: die ganzen Midi-Geräte, das Fitzeln der Effektgeräte oder wenn ein Noisegate zumacht. Da benutzen wir nur alte Geräte, Bandecho...

Ted: Wir haben viel mit Originalräumen gearbeitet, auch durch 'ne Toilette aufgenommen... Die Platte klingt wie keine andere auf dem aktuellen Markt. Das ist die Weiterentwicklung des Punk-Rock basierend auf der Billy-Childish-Schule, das abzukoppeln von Revivalismus und in einen Kontext zu setzen, das das aktuell ist. Das ist keine grundsätzliche diktatorische Frage, dass alle jetzt analog arbeiten sollen, das ist 'ne Frage der künstlerischen Freiheit, ein Bestehen darauf, dass die Optionen offen sind.

Und ausserhalb des Studios?

Ted: Naja also ich bin schon technikfeindlich - aus ästhetischen Gründen. Zum Beispiel beim Cover, dieser Schriftzug, dass Letraset anders aussieht als Computersatz. Und jeder jeder jeder jeder Grafiker sagt Dir, das hab' ich im Computer. Und das stimmt einfach nicht. Endlich sind wir soweit, dass wir selber Bescheid wissen, und uns nicht ärgern, dass die Farben hinterher eben anders aussehen. Und deswegen gehörte zur Aussage der Platte auch, dass das Cover in Collagenform ist und zwar sichtbar mit Schere und Tesa. Wir sind mittlerweile im Stande, alles selberzumachen, vom Layout der Zeitung bis zur Produktion.

Wer ist wir?

''... SOUND OF POETRY.''

Ted: Das ist eine Frage der Interessen. Texte und Zeitung haben alleine Schorsch und ich gemacht. Das wird von allen als inhaltlicher Konsens getragen, aber die anderen verstehen sich eben mehr als Musiker.

Die Texte sind ja nachträglich beobachtend, nur zwei sehen dann visionär die Liebe, die dann auch noch verklärt ''aus der antiken Welt'' unter der Dusche auftaucht.

Ted: Das kokketiert mit diesem Dandytum. Wie in Regierung stürzen, die ganze Welt für verrückt erklären. Aber das stimmt schon, das ist natürlich immer alles rückblickend. Ich denke in der jetzigen Zeit funktioniert das nicht, Utopien zu formulieren. Hoyerswerda oder Totschlag sagen erstmal in einer adäquaten Form, was Sache ist, was in der öffentlichen Debatte alles fehlt. Auch gerade weil die Position der Musiker in Deutschland darauf zu reagieren, nur die Betroffenheitsschiene oder Hass ist. Und das ist beides total fruchtlos. Dieser oberflächliche Antifaschismus von SLIME, den linken HOSEN, die Identifikation läuft über das Mitgröhlen von 'nem Refrain und ner möglichst radikalen Aussage.

Da ich die Zeitung vor der Platte bekam, wusste ich auch nicht, was jetzt Liedtext und was prosaische Ergänzung ist. Die Texte funktionieren gelesen genauso hervorragend wie gesungen. Darüberhinaus zeigt die Zeitung durch Quellenangaben Möglichkeiten des Ankoppelns an aktuelle linke Kritik und Projekte - von Wohlfahrtsausschuss bis ID-Archiv.

UND SONST?

Schorsch: Du willst jetzt von uns also wissen, wie man rauskommt aus der ganzen Scheisse.

Ja bitte.

Schorsch: Es reicht Dir also noch nicht, dass wir Dir sagen, wie beschissen das alles ist... Naja das wissen wir eben in unserem privaten wie musikalischem Leben auch noch nicht. Das sind dann eben so Ansätze wie Wohlfahrtsausschuss, aber sonst sind wir zu schwach...

Ted: Dafür fehlt einfach der Rückenwind. Wenn man überlegt, hier haben das eigentlich nur TON STEINE SCHERBEN geschafft.

Schorsch: Aber die lebten auch in einer bestimmten Welle drin.

Ted: Die hatten den Rückenwind der Zeit, die Modelle, die da ausprobiert werden konnten. Bei Punk war das schon nicht mehr so.

Schorsch: Punk hatte sich schon so'ne innere Subkultur geschaffen. Garnicht das andere verändern, sondern sich raushalten. was daraus geworden ist, sind verbürgerlichte Viertel. Da wird man in Ruhe gelassen. Das war's dann auch schon.

Als Reaktion darauf machten die ZITRONEN Funpunk.

Ted: Ja, das war gegen diesen Deutsch-Hartcore: mit EXPLOITED-Akkorden ''Stellt die Nazis an die Wand'' brüllen. Um auch so Spiessermythen wie Biertrinken aufzuarbeiten oder im Schlafanzug aufzutreten. So haben wir auch damals die HOSEN verstanden, SUURBIERS, MIMMIS, ÄRZTE. Mir war nicht klar, dass dahinter auch 'ne ernste Komponente stecken konnte.

Volxmusik...

Schorsch: Da war's ja schon zu spät. Funpunk war innerhalb von Punk ja noch rebellisch. Aber das wurde dann nach aussen hin manifestiert: so, das ist es jetzt. Und an den Mann gebracht. Wir hatten auch nicht daran gedacht, was das für Ausmasse annehmen würde und dass man die Festlegung darauf nicht mehr los wird. Hätte man damals eigentlich schon sehen können...

Was Eure nächsten Platten noch prägte...

Ted: Als wir das begriffen hatten, dachten wir, dass wir das Glam-Rock-mässig für uns verwenden könnten. Auch die Energie. Wenn man die bei einem ÄRZTE-Konzert damals erlebt hatte, das war schon irre: die liessen die Mädchen singen: ''Schwanz ab, Schwanz ab !'' und die Jungs: ''Nieder mit der Männlichkeit'' - Manipulation der Massen. Und wir dachten, dass sowas wie ''Regierung stürzen'' auch den Impuls gibt, das zu hinterfragen. Aber das war eben ein Irrtum. Hatte trotzdem Spass gemacht, ist nur irgendwann umgekippt.

Nochmal zur ''Verviertelung'': Versucht ihr die zu überwinden, durch Einbeziehen von IQ und EASY BUSINESS bei Eurer letzten 12" und hier jetzt mit DJ HELL?

Schorsch: Nein, das ist eher ein kleiner Tribut an Tekkno, an die Eigenständigkeit und die Szene, bei der Maxi an HipHop. Also nicht versuchen, sowas selber zu machen, sondern nur den Text zu liefern. Tekkno könnte vielleicht sowas wie Punk sein. Nur eben auch unpolitisch. Auf der Loveparade: wir sind für Frieden, aber lasst uns in Ruhe.

Ted: Das Stück mit DJ HELL ist leider nicht richtig geglückt. Aber funktioniert auf der symbolischen Ebene: dass man sich nicht in altpunkischer Borniertheit abgrenzt von jüngeren Leuten und Ideen. Eigentlich ist ''Ein bisschen Totschlag '' ja auch so ne Mischung aus HipHop und Liedermacher.

Wie FRANZ JOSEF DEGENHARDT, z.B. ''Angela Davis''...

Ted: Also DEGENHARDT ist schon ein Orientierungspunkt. Für mich ist die jetztige Zeit eine, in der man textlich eindeutig sein muss. Wo man mit dem Individualismus Schluss machen muss, jeder könne sich herauslesen, was er will. Den Luxus sollte man sich nicht leisten, wenn die Sinndefinition nach rechts wandert. Da gibts eben nur die Degenhardtsche Linie, die wirklich funktioniert: also sowohl direkt zu sein, als auch nicht plumb. Und vorallem sorgfältig. Wir mussten dann auch musikalisch umdenken, ganz viel Text runterbuttern, sowas geht nicht auf der Rockschiene. Also eine Form finden, in der das funktioniert ohne jetzt HipHop zu machen oder eben Liedermacher. Deswegen hat diese Platte auch so lange gedauert. Wie es aussehen könnte, hatte ich im Kopf, aber wie setzt man das um.

Zu den Coverversionen - Texte ins Deutsche zu übersetzen, hat nichts mit dieser BERND-BEGEMANN-Idee zu tun.

Ted: Ne, überhaupt nicht. Du hörst da 'ne Sprachanwendung, die man sonst nicht hat. Man kommt zu einem Resultat, was ein anderes ist, als wenn man die Idee gleich auf deutsch formuliert. Ich finde das toll, fremdsprachige Redewendungen ins Deutsche zu übersetzen. Weil Deutsch ist ja sehr eckig und arm an attraktiven Formulierungen.

AUF DER AUTOBAHN

Im Gegensatz zu diversen HipHop Acts, die das white male Statussymbol Auto besetzen und Blaupunkt in subsonic Soundsystems umwandeln, oder DIE HAUT, die vereint und stolz ihren neuen Audi 100 präsentiert (man riecht das deutsche Heisswachs förmlich - naja, natürlich ein Spielen mit...), blickt uns jede einzelne ZITRONE mit Lenkrad - auf nichtkontinentaler britischer Seite: Linksverkehr - aus einem anderen Cockpit an, kontrolliert von der dekonstruierten Bildoberfläche aus als Individuum die Richtung, in die die Fahrzeuge steuern. Soviel zur weissen Kohle. Ääähhh, ja... oder so. (Hoppala...)

(erschienen 09-1994, TERZ Düsseldorf)

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NICO HAUPT. Ekstase for Men and Women.
Nico Haupt ist unser Mann im ''BürgerInnenfunk''. Seine Sendung Ecstasy übersetzt er nicht mit Droge sondern - das Griechische Wörterbuch in der Hand - als ''das, was aus dem Rahmen fällt''. Diesen zimmert Antenne Düsseldorf unter den strengen Augen von Radio NRW. Zum Gespräch über Radiomachen, Senderstrukturen und neue Medien traf ihn Andreas Reihse.

Nico Haupt (NH): Im Grunde kann jeder Sendungen produzieren; du brauchst nur Equipment; wenn man das nicht hat, kann man zur VHS gehen, Kurs belegen und was produzieren, wobei man von der VHS allerdings kein Geld bekommt. Wir haben uns jetzt als Radiowerktatt organisiert; so bekommen wir mehr vergütet als als einzelne Leute. Da sieht man dann schon was für blöde Hierarchien es hier gibt: also eigentlich nicht BügerInnenfunk, sondern 10.000-Mark-Funk: Du mußt Equipment im Wert von 10.000 Mark haben, dann kannste loslegen. Technisch muß alles 1a sein, die Sendung darf keine gewaltverherlichenden Themen haben, wobei das eher eine willkürliche Auflage ist, um uns möglichst schnell auszuhebeln...

Ihr hattet Probleme mit Zensur?

NH: Uns ist in 1 1/2 Jahren bisher nur eine Sendung gekippt worden: Sascha Bozic äußerte in seinem Magazin, daß die Aktivität der UNO sich auf das Verschicken von Wolldecken in Krisengebiete beschränke - das war Antenne Düsseldorf (AD) zu politisch. Durch unseren Einspruch bei der LfR wurde die Sendung dann aber 1,5 Jahre später ausgestrahlt; die Aussage konnte man dann auf Jugoslawienkrieg beziehen. Bozic ist radikaler Pazifist, der in seinen Hardcore-Sendungen keine Bands spielte, die z.B. Milka rauchen oder Philip Morris essen; hat wegen dem Stress leider aufgehört. Ich vermute, die Zensur von AD lag aber eher an der Musik.

Fast alle Radiosender arbeiten mittlerweile mit einer Software, die genau berechnet, wann und wie welche Musik ausgestrahlt werden soll: also BPM-Zahl dem Herzschlag angepaßt, keine 2 unbekannten oder zu schnellen Stücke nacheinander, Teenieprogramm nach Schulschluß, wann sollte Rock laufen etcetera. AD kriegt wie die anderen Lokalradios, das Rahmenprogramm von Radio NRW. überall müssen die gleichen Jingles eingesetzt werden und auch die Musik sollte möglichst überall die selbe sein.

NH: Das heißt, RADIO NRW verschickt Pläne, die aufzeigen, in derundder Sendung möchten wir dieunddie Lieder haben. AD war da wohl noch am liberalsten, rutscht jetzt aber mehr und mehr in diese Ecke ab und hat dadurch viel gutes Personal verloren - an WDR1, VIVA, VOX etc.

Was ist mit Werbebreaks im BürgerInnenfunk?

NH: Ham'se auch versucht, hat sich aber wohl nicht gelohnt. Aber vor der Sendung läuft immer 1 Minute lang ein Jingle und nach 51 Minuten wird knallhart abgebrochen.

Und die Sendezeiten?

NH: Wir hatten einen Platz zwischen 7 und 8h früh und da wurde mal speziell für diese prime time produziert, daß das die Bürokraten so nervte, daß sie die Stunde dann abends mit dran gehängt haben. Für uns dann eben eine Doppelstunde und auch größerer Erfolg. Vergütet wird allerdings nur noch die erste Stunde. die zweite produziert man für lau, wobei die Sätze immer schwanken: Wer keine Werkstatt hat, kriegt 1 Mark pro Minute, soviel kostet in etwa auch das Bandmaterial. Die abgelieferte Sendung wird innerhalb von drei Tagen Korrektur gehört und dann ausgestrahlt; du mußt dich in eine Warteschlange einreihen und dann genau den Termin nach drei Tagen wahrnehmen.

Du kannst also eigentlich nicht mehr kontinuierlich arbeiten?

NH: Genau, keine Wunschtermine mehr, du mußt exakt den nächst freien Termin nehmen.

Wer nutzt den Bürgerfunk?

NH: In Düsseldorf gibts 5-7 bekanntere Gruppen: VHS, ASG und wir, der Medienverein, sind Radiowerkstätten, Radioforum plant es; dann gibts noch unbekanntere Gruppen wie Fraueninitiative, Tatortradio...teilweise als Radiovereine organisiert, arbeiten sie aber eher sporadisch. BUND ist unser Kooperationspartner. Für die produzieren wir Sendungen und da ist auch unser Studio. Man braucht feste Räume um Radiowerkstatt zu sein. Für den ''normalen Bürger'' ist das alles viel zu verworren. Wir waren bis Anfang des Jahres die unabhängste Gruppe mit den meisten Produktionen. Jetzt sind wir eben auch eine Radiowerkstatt geworden und werden wohl bald mehr produzieren als VHS und ASG zusammen. DAT-Radio, wohl politisch der anspruchsvollste Verein, kooperieren auch mit uns; dann gibts noch das Radio Forum, wo DAT auch mitarbeitet und ich Vereinsmitglied bin, außerdem noch das Medienbüro, das sind JournalistInnen, die sich einen Raum teilen und eigentlich für Printmedien arbeiten, wo man aber auch Sendungen produzieren kann, die sind uns auch angegliedert und kriegen über uns ihre Rückvergütung. Leider funktioniert die Vernetzung nicht richtig. Zuviel Klüngel und uneffektives Gegeneinanderarbeiten; wenn sich nicht alle so wichtig nehmen würden, könnten wir auch feste Tage für die einzelnen Sendungen absprechen und ein Monatsprogramm herausbringen. Die Probleme gibts aber schon intern, wir haben nur 2 Techniker aber 15 Leute, die Sendungen produzieren wollen: bei uns produziert Klaus Ivanov beispielsweise jeden Sonntag Radiosendungen: das Jazzmagazin ''Downtown'', Bernd Birkels ''terzmässige'' Sendung, Nils Brückners Dancefloor -leider auf ''Dj Bobo''-Ebene, Fantasymetal mit Tomas Claus und so weiter. Da gibts dann leider unter der Hand Terminabsprachen. Früher gabs Treffen von den ganzen Bürgerfunkbeteiligten, wo dann Richtlinien und Neuerungen besprochen wurden; da hätte man zwar mehr machen können, war aber so nicht schlecht. Ich versuche jetzt wenigstens um den Medienverein herum was zu organisieren.

Liegt die Kontinuitätslosigkeit nicht auch an der Genau-nach-3-Tagen-wird-gesendet-Regel?

NH: Klar, früher konnte ich sagen, ich würde gerne den nächsten Freitag nehmen und die anderen Gruppen hatten eigentlich nie was dagegen. Mittlerweile ist jeder froh, den nächstbesten Termin zu kriegen. Das ist auf lange Zeit strategisch vielleicht auch so geplant, damit es dann irgendwann keinen Bürgerfunk mehr gibt.

Und warum macht man das dann trotzdem?

NH: Also ein bisschen masochistisch mußt du schon sein. Aber in erster Linie weils Spaß macht; am Anfang wollte ich 'ne reine DJ-Sendung machen. Aber es gibt die Auflage, daß du einen Lokalbezug haben mußt. Ich bin dann zu Bands gegangen und hab die interviewt; so kam ich dann in Verteiler und konnte nach und nach meine Lieblingsbands abklappern, auch international: Gang Starr, Mega City 4, Laibach, Holger Hiller bis zu Larry Hagman. Da ich das dann alleine langweilig fand, habe ich in jeder Sendung einen lokalen Musiker als Comoderator. Demotapes spiele ich so gut wie alle; in drei Jahren habe ich sicher 150 Bands aus Düsseldorf gespielt und 180 Interviews gemacht. Alle Düsseldorfer Bands, die jetzt bekannter sind, liefen zuerst auf Ecstasy.

ECSTASY TV ist das neue Projekt Haupts; die visuelle Erweiterung seiner Radiosendung als knapp zehnminütiger Anhang zum Videomagazin CLIPPER. Wobei er sich auch hier dem ''seriösen'' Journalismus verweigert, eher auf den Spuren von Wigand Bonin oder Helge Schneider wandelt. Dilletanz und Humor, der sich nicht erklären muß oder auch subversive Spaßguerilla vs Zensur.

NH: Ich versuche das möglichst satirisch zu machen; ist auch die einzige Form, wo ich das hinkriege, für alles andere halte ich mich zu steif. Also wenn ich die ''Volksfront'' kommentiere, mache ich es vielleicht dadurch, daß ich die DDR-Hymne anspiele; die Leute müssen das dann eben schon raffen, was ich damit meine.

Postscriptum

NH: Ecstasy soll für alle Medien offen sein. Ich plane 'ne Mailbox: Musikstücke von labellosen Bands einfrieren, die man dann abrufen kann und neu zusammenstellen; vielleicht in'ner Art Abonnentenservice, aber erst mal frei. In England wird sowas gerade installiert. Das wäre die Chance für einen neuen Underground. das ist eine Riesengeschichte, aber keiner traut sich richtig damit anzufangen.

Ja aber auch wegen GEMA, Copyright und diesen ganzen Rechtsgeschichten.

NH: Das wird sich sicher bald ändern; da wird sich ein Riesenmarkt auftun, ich finde die CD-ROM-Sache überhaupt nicht interessant: Bild, Ton und Text nur zu konsumieren; es muß mehr einen Austausch geben: so wie FUTURE SOUND OF LONDON ein Konzert freigaben, was man per Modem aufzeichnen und dann mit seiner Privatsoftware verfremden konnte. Ich denke das kann völlig neue Chancen bieten, die KünstlerInnen müssen das nur VOR den Medienleuten und Konzernen begreifen, auch Gitarrenbands. Und die Punks sollen sich endlich mal Computer und Modems kaufen.

Postpostscriptum

NH: Schreib doch bitte noch, ich sei der Düsseldorfer John Peel.

Jetzt doch Peel?? Ich wollte schreiben: Marc Page ohne Schafe-Scheren-im-Studio.

NH: Das wäre natürlich mein Traum: mehr lebendige Tiere auf Ecstasy.

(erschienen 09-1994, TERZ Düsseldorf)

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KURT COBAIN ist tot!??

... also im ersten Moment konnte ich das gar nicht glauben.

gaga: Genau, ging mir genauso, irgendwie so richtig erst als es in den Spätnachrichten bestätigt wurde. Und das, obwohl KC nie so das grosse mediale Ding für mich war. Vielleicht ja nur wegen des Roseclub-Konzerts damals, wo ich mir auch nicht vorstellen konnte, dass mein Freund recht behielte, der ihnen da schon Mainstreamerfolge vorraussagte.

Ohne den Medienhype hätte ich NIRVANA nie zur Kenntnis genommen. ''Smells like...'' erschien in einer Zeit als ich überhaupt kein Interesse mehr an Rockmusik hatte, sogar Grind mit Grunge verwechselte.

gaga: Ach, hör doch auf, wäre doch wohl schon zu dir gekommen weil Subpop ein Ding für die englische Presse war, die ja z.B. SST total verschlafen hatten und jetzt bei so einem neuen Rockding mit vorne dabei sein konnten.

Ich bin nicht die englische Presse und NIRVANA war für mich - zumindest zu hause gehört - ABBA-Harmonien mit zornigharmonischem Gesang. Aber gerade so mediale Wesen sind doch eigentlich unsterblich und das da jetzt plötzlich ein Mensch tot herausfällt...

gaga: Ach ich weiss nicht, das ist mir irgendwie schon zu distanziert. Ausserdem-mediales Wesen, ob das immer so funktioniert, und dann noch die ganzen Authenzitätszuschreibungen um NIRVANA. das ist ja auch so ein Mist, das jetzt diese ganze Maschine von Rockmythen so medial abstandsmässig weiterabgespult werden kann.

Klar, aber fact ist doch, dass Kurt Cobain tot ist, der Mythos aber weiterlebt; und dass Kurt für die ganzen langweiligen und gelangweilten Kids blöde Projektionsfläche war, Genuss ohne Reue, der jetzt tot ist und sie endlich ihre Eltern werden können.

gaga: Ja, aber erstens, wenn ich sage, dass da jetzt ein Mensch tot ist, dann spricht man eben schon aus so'ner Medienposition und ist voll in diesen Perspektiven drin. Ich meine, fast schon egal, ob man sich nun Gedanken macht, warum, ob schlimme Kindheit oder der Tod des Image-Nachlebens, was ja vielleicht interessant sein kann, da läuft doch was schief. Und zu den NIRVANAkids, also alle, die ich kenne, sind doch nur so harmlose Oberstufenwimps zumindest hier in D-land, die doch schon immer ihre Eltern waren, und nichtmal in ihrem Kampf gegen ihre häusliche Langeweile Format haben, aber sich nach aussen ihre Coolness so einfach wie möglich erkaufen wollen, geschweige denn die Hälfte von dem gelebt haben, was KC gemacht hat, und da ist es mir auch scheissegal ob das normal ist, das ist einfach armes verlogenes posing - naja Ausnahmen gibts wahrscheinlich auch - kenn ich halt nur nicht.

Kenn ich auch nicht, aber ich lüge mir doch in die Tasche, wenn ich behaupte, eine nichtinszenierte andere als mediale Position zu Nirvana entwickeln zu können. Das ist jetzt vielleicht eine Scheissaussage, aber Kurt hat wenigstens gezeigt, wie man gegen das Elterhaus kämpft: heiraten, Kind kriegen und dann dem "Club der Dummen beizutreten" wie seine Mutter in der Express zitiert wurde; schlimme Kindheit schreit so nach Psychotherapie, und was dabei rauskommen kann... Okay in der Rockmaschine hatte er so auch keine Chance.

gaga: Okay, mit der Mediensache hast du natürlich vollkommen recht, ist ja schon wichtig, wenn man bedenkt, das z. B. HENDRIX, JOPLIN selbst SID VICIOUS kein Rock unter MTV-Bedingungen war. Vielleicht reagier ich da etwas empfindlich, weil mich so'ne abgezockte Sprache - "so ist das halt"- stört, damit verändert man nix und wird der Sache auch nicht gerecht. Zum zweiten, also auch wenns vielleicht strittig klingt, aber ich fand das Argument KC wäre dann vielleicht nie berühmt geworden, aber vielleicht hätte er besser ne Therapie gemacht, gar nicht so falsch; da sollten sich so einige mal fragen was für Mythen von und da ist es fast schon egal ob Musik oder andere Kunst die im Kopf haben, auch wenn du irgendwie auch recht hast. Und was heisst keine Chance?

Na z.B. Deine MTV-Bedingungen. Gut Therapie kann ja auch was anderes heissen, als gesellschaftliche Normierung oder die Herzlungenmaschine am Laufen zu halten; wenn ich Kurt gekannt hätte, wäre ich sicher als erster im Zug nach Rom - nach seinem ersten (?) Selbstmordversuch - gesessen, in der Hoffnung, irgendwas bewirken zu können. Ich will ja nie wahrhaben, dass Leute Selbstmord für sich als Lösung begreifen.

gaga: Ach ja, also ich weiss zwar immer noch nicht, was du mit Chance meinst, und das letztere, ...., a matter of desire and death aber für mich bitte nur stückchenweise..und selbst so gesagt Mist ... und so langsam reden wir fürs Papier zu viel... respects oder was..... für KURT COBAIN... und Kübel voll Scheisse für die Highschoolwimps.

(pipi und gaga)

(erschienen 05-1994, TERZ Düsseldorf)

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MORE EXTENDED VERSIONS Politik und Schönheit Hand in Hand.

Bei aller Gemeinsamkeit in Sprache, Rechtsradikalismus und Präsidenten mit staatstragender Vergangenheit zwischen '33 und '45 ist die Presenz Österreichs in den bundesrepublikanischen Medien meist auf Nachrichten von Wintersportunfällen beschränkt. Bernhard lange tot, Jelinek, Scharang und Distl im Feuilleton abgehandelt, Klagenfurt hat auch nur POP, wenn sich ein Goetz die Stirn blutig ritzt, Brandauer ist alt und Hollywood, Monaco Franze gibt für RTL den bayrischen Kuhdörfler, Platzgumer wühlt im WOM, Abteilung Ami-Rock. Auf der letzten PopKomm wurde das Land mit einer CD namens "AUT" präsentiert (natürlich ohne Attwenger, Fuckhead oder Maische), wie out unterstrich dann der Österreichische Musikfrohbotschafer, der den Themenabend Austria betrunken im Hotelzimmer verschlief: Cafe Melànge, Topfenpalatschinken, Monarchie, Der dritte Mann und das Piano: Nachrichten aus einer untergegangen Epoche. "Österreich ist wirklich das letzte Land in Mitteleuropa. Wo der Ostblock irgendwie noch den Exotenbonus gehabt hatte, da waren wir leider nicht mehr der Ostblock sondern schon irgendwie der Westen und damit uninteressant." sagt Christof Kurzmann von THE MORE EXTENDED VERSIONS.

Die Kurzfassung

Christof Kurzmanns Eltern waren antifaschistische Widerstandskämpfer. Er wußte früh, daß er den Kriegsdienst verweigern würde. Als Schüler mit 16 Jahren begann er sich als KDV-Berater zu engagieren; zwei Jahre später, zwei Jahre intensivster Beschäftigung mit diesem Thema, wurde Kurzmann dann selbst einberufen. Zivildienst erschien ihm da jedoch nur noch als Ersatzdienst mit den gleichen Strukturen wie Wehrdienst. Er verweigerte aus politischen Gründen, wurde natürlich abgelehnt und initierte mit einigen Freunden die AG Totalverweigerung. Dort lernte ihn 1987 Helmut Heiland kennen, der nach mehrmaligenVersuch, die Gewissensprüfung zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu bestehen, schließlich auch totalverweigete. Kurzmann spielte Jazz, Heiland seit 6 Jahren Punkrock bei EXTREM.

Helmut Heiland: Die Kurzversion der Geschichte ist die, wir haben dann bei mir im Wohnzimmer improvisiert, ohne je daran zu denken, eine Band zu machen. Später fingen wir als Duo an auf Solidaritätskonzerten aufzutreten, so ist EXTENDED VERSIONS entstanden. Der erste Schritt zu diesem "Robert Wyatt Projekt" war eine Auftragsarbeit für ein Jazzfestival in Österreich, das "Jazzfestival Ulrichsberg", wo wir ein eigenes Programm als Auftrag gehabt haben, und das war dann Wyatt gewidmet. Das war die Kurzversion... Erst nur Christof und ich, die Siggi als Gastmusikerin und ein Drumcomputer; die ganze Geschichte ist ...ähh... eher etwas in die Hose gegangen, würde ich sagen, und deswegen haben wir das dann erweitert, zu Viert gemacht.

Christof Kurzmann: Wir hatten ein Palästina-Programm, wo wir eine Novelle von einem Palästinensischen Dichter vertonten; das haben die Leute vom "Jazzfestival Ulrichsberg" gehört und uns engagiert, mit der Auflage, wieder ein Programm zu machen, das nicht aus einzelnen Songs besteht, sondern sich um ein Thema im Zentrum dreht. Das war der Auftrag und die Lösung war dann Robert Wyatt.

Helmut Heiland: Also ich hatte mit dieser Punk/Hardcore-Geschichte den Punkt erreicht, wirklich nicht mehr zu können, es war mir zu eng, auf allen Ebenen. Und das mit Christof war dann ein Zufall. Wir haben uns gegenseitig ganz stark beeinflußt; ich habe damals wirklich gar kein Saxofon hören können, das war ganz ganz schlimm für mich, und für Christof waren sicher viele Sachen, die ich damals gemacht hatte, sehr sehr fremd.

Die etwas ausgedehntere Version

Bekannt geworden seid Ihr als die Band, die Robert Wyatt Songs spielt. Ist das nun ein Knoten in einem größeren Netz? Wenn ich mir "Dedicated to you..." anhöre, die ja die Entwicklung Wyatts von Soft Machine bis heute umspannt, und jetzt Eure Hälfte vom Album "Roundabout...", wo ihr zwar Stücke aus allen möglichen Phasen Wyatts spielt, trotzdem aber die aktuelle Person markiert, dann kann man das Thema natürlich noch vertiefen, aber für mich scheint da ein Prozeß abgeschlossen zu sein.

Christof Kurzmann: Das stimmt auch.

Helmut Heiland: Das ist er, ja.

Sigrid Ecker: Das heißt, ob diese Zukunft dieser Band für immer und ewig vorbei ist, oder ob sie neue Themen oder irgendwas finden wird, ist offen. Das Projekt "Robert Wyatt" ist mit Sicherheit am 1. Mai 1994 abgeschlossen.

Am 1. Mai? Programmatisch?

Sigrid Ecker: Ja, das hat Tradition. Die CD - Präsentation war am 1. Mai,...

Christof Kurzmann: ... das erste Konzert war am 1. Mai, unser zweites Konzert war am 1. Mai - also ein Jahr später, weil das erste so schlecht war - und unser letztes Konzert wird am 1. Mai sein.

Mex Wolfsteiner wird dann weiter bei M.G.FIREBUG Schlagzeug spielen, die sich aber Ende Mai, nach Abschlußkonzerten und Veröffentlichung einer Abschluß-CD, auch auflösen wollen. Kurzmann und Heiland werden neben Soloprogramm und anderen Projekten als EXTENDED VERSIONS weiterarbeiten. Sigrid Ecker hat ein eher literarisches Soloprogramm und die Band SIGGIS BRUDER.

Sigrid Ecker: Wir haben gerade eine CD gemacht, "Leftovers", das ist aber jünger als das Projekt mit THE MORE EXTENDED VERSIONS. Ich lernte Christof und Helmut über die Politik kennen, über die AG Totalverweigerung. Ich habe zwar in anderen politischen Zusammenhängen gearbeitet, gegen Stationierung von Abfangjägern und gegen die EG, bin da aber dann auch zu den Totalverweigerern gestossen. Ich bin damals nach Wien gekommen, um zu studieren, habe in Bands gesungen aus meinem politischen Umfeld. Für das "Jazzfestival Ulrichsberg" hatte ich dann nur ein Tape, mit den drei Wyatt-Nummern, die ich singen sollte; habe mir die Texte eingeprägt, Melodien... ohne historischen Bezug zu Wyatt, das war wirklich die Sache von Christof und Helmut. Wobei Wyatt jetzt zu meinen Lieblingen zählt.

Mex, Du bist der Einzige, der als Musiker, also nicht über politische Verbindungen zu THE MORE EXTENDED VERSIONS gekommen bist.

Mex Wolfsteiner: Absolut. Ich kam auch zum Studieren nach Wien, habe kaum Musiker kennengelernt, ein halbes Jahr in einer total öden Band gespielt. Ich bin dann auf eine alte Band aus Oberösterreich zurückgegangen, wir haben eine LP aufgenommen, relativ viele Auftritte gemacht, dann Christof kennengelernt, der eine Single mit uns produziert hat. Mein Einstieg zum "Wyatt"-Programm ist dann furchtbar schnell gegangen, ich habe ihn gar nicht gekannt, bin an einem Samstag gefragt worden, ob ich nicht am nächsten Freitag zur Premiere des Programms mitspielen will. Ich habe die Nummern garnicht gekannt und mir die Wyatt-Originale auch garnicht angehört. Ich habe mir gedacht, das verwirrt mich jetzt nur. Ich habe mich nur darauf verlassen, was die anderen mir gesagt haben, wie die Stücke gehen, und was ich mir selber gedacht habe dazu, und Wyatts Musik erst kennengelernt, nachdem ich seine Nummern live gespielt hatte.

Welche Auswirkung hat so eine intensive Beschäftigung mit einer Person, oder der Ästhetik und Politik einer Person für Euch und Eure zukünftigen Projekte oder Produktionen, wie arbeitet Ihr weiter?

Helmut Heiland: Das hat sicher große Auswirkungen. das ist eine sehr lehrreiche Sache. Erstens der inhaltliche Zugang, dann der musikalische, was für mich als ehemaligem Punkrocker sehr spannend ist, so sanfte Sachen zu machen, die von einem ganz anderen Ort von Spannung leben. Das wird sich sicher in Zukunft auswirken, wie, wird man sehen.

Sigrid Ecker: Vorallem auch deswegen, weil das eben ein sehr langwieriges Projekt geworden ist, zwei, drei Jahre kontinuierliche Beschäftigung mit Wyatt in seiner ganzen Bandbreite und Vielfalt auf einer Ebene, also zu covern und einen eigenen Umgang zu den Nummern zu finden, sich damit auseinanderzusetzen, hinterläßt sicher mehrere Spuren als nur die Beeinflussung von den Originalen her, sondern auch z.B. im Arbeitsprozeß selber. Und natürlich auch inhaltlich, der Zugang zu Politik und Musik - was bei den EXTENDED VERSIONS natürlich auch schon da war oder bei mir in meinem Soloprogramm - bei Wyatt aber auf den Punkt gebracht wird, weitere Themen auf einer sehr persönlichen Ebene in die Musik zu verarbeiten. Und das wird für mich mit Sicherheit auch ein Ziel bleiben.

Christof Kurzmann: Eine der wichtigsten Sachen bei den EXTENDED VERSIONS war immer das Entdecken der Monotonie und das Weiterhineingehen in die Parameter der Monotonie: wie funktioniert Monotonie und so weiter. Daneben gab es immer eine melodische Ebene, und gerade für die hat das "Wyatt"-Programm viel gebracht; wenn Du von Dir aus Songs schreibst, dann schreibst Du die immer in Deinen vier oder fünf Lieblingstönen; und dann lernst Du, wenn Du Dich drei Jahre auf Wyatt beziehst, noch drei Töne dazu. Das heißt, daß die nächsten EXTENDED VERSIONS schon aus 8 Tönen bestehen werden. Und die Verbindung von Melodien mit Monotonie, das ist das, was unter anderem auch dann bei den EXTENDED VERSIONS stattfinden wird. Durch das exaktere an Fremdmaterial Herangehen haben wir instrumental vieles gelernt; sich selbst nicht auf seine Fähigkeiten zu beschränken, wie wenn man eigenen Nummern spielt, sondern vorgegebene Nummern versucht nachzuspielen; und wenn es dann nicht klingt, mußt Du eben Fähigkeiten entwickeln, die Du bis dahin nicht gehabt hast; aber auch durch die Dauer, wie lange wir jetzt schon zusammenspielen und auftreten; und nicht zuletzt durch das Arbeiten mit CPT. KIRK &., was auch für mein Selbstvertrauen sehr wichtig war.

Die politische Version

Das ist die ästhetische Ebene; wie schätzt Ihr Eure politische Relevanz ein, auch vielleicht im Vergleich zu Wyatt selbst. Oder überhaupt das Verhältnis von Musik zu Politik.

Christof Kurzmann: Ich glaube wir sind nie davon ausgegangen, daß Musik gemacht wird, um die Welt zu verändern. Ich glaube nur, daß wir, so wie man immer die Welt mitverändern will, uns auch in der Musik diesem Ziel widmen. Und das ist immer auf zwei Ebenen zu sehen: wie kommt der Song, wenn er im Radio gespielt wird, wer hört den Text, wer hört - abgesehen vom Text- überhaupt hin, daß es da eine Form gibt, die neben einer Mainstreamform existiert. Die andere Ebene ist so eine praktische: zum einen, daß Du von mir aus auf Solidaritätsfesten spielst, wie Wyatt, der eben für Bergarbeiter spielt oder jede Menge Solidaritätsplatten aufgenommen hat, zum anderen auch, daß - gerade bei uns oder eben auch bei Wyatt - über die Musik hinaus bei Interviews oder auch bei Radiogeschichten immer wieder Inhalte transportiert werden, z.B. Totalverweigerung.

Kurzmann ist fahnenflüchtig. Wie bereits zuvor mußte er Österreich auch für diese Tournee illegal verlassen. Zweimal im Jahr erscheint die Staatspolizei bei seiner Meldeadresse. Das ist aber eher bürokratische Routine, der Staat will kein Aufsehen. Warum auch: von etwa 500 österreichischen Totalverweigerern sind lediglich 20 organisiert - haben sich Strukturen und Lobby geschaffen. In all ihren Interviews beziehen (THE MORE) EXTENDED VERSIONS klar Stellung zur Totalverweigerung; aber bei keinem ihrer - immer öffentlich angekündigten - Konzerte erschien bisher die Polizei. Durch einen Zufall jedoch wurde Heiland letztes Jahr dennoch verhaftet: bei einer gewöhnlichen Straßenkontrolle.

Das bedeutete 6 Monate Beugehaft, erneute Einberufung, bei wiederholter Verweigerung wieder Knast etc. Die bürgerliche Presse und Teile der Linken versagten ihm ihre Unterstützung, unter anderem mit dem Argument, daß man bei der derzeitig entspannten internationalen Lage ohne weiteres Militärdienst leisten könne! Im Knast wurde Heiland mit dem rechtsradikalen Gottfried Küssel, Kühnenfreund und VAPO-Führer, in eine Zelle gesteckt. Kurzmann bekam im ORF (!) Gelegenheit, eine Solidaritätssendung zu moderieren, die wiederum zu einer Anzeige gegen den ORF durch Haiders FPÖ führte. Robert Wyatt schickte Heiland eine ermunternde Karte in den Knast, Amnesty International London "adoptierte" Heiland, und durch weitere öffentliche Proteste wurde er dann in eine andere Zelle verlegt. Mit Hilfe eines psychiatrischen Gutachtens kam er einige Wochen später frei. Kurzmann weiß, daß ihm ähnliches jederzeit wieder bevorstehen kann.

Das Bandprojekt also auch, um zu reisen, mit Menschen in Kontakt kommen, Interviews zu geben.

Christof Kurzmann: Das denke ich schon, aber das ist gar nicht als Band da, würden wir Filme machen, dann würden wir Filme machen, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Das ist nicht so "wir gründen eine Band, um..", sondern alles, was Du machst, versuchst Du in einer Art dahin zu bringen. Natürlich ist Musik ein gutes Mittel dafür.

Du hast auch einen direkteren Zugriff als beim Film.

Helmut Heiland: Filme zu machen ist auch ein wesentlich teueres Medium, die Produktionsmittel, um zu musizieren, sind einigermaßen erschwinglich für viele Leute.

Aber das ist doch eine Frage des Levels, des Produktionsniveaus, egal bei welchem Medium.

Christof Kurzmann: Ja, eben. Ein Film von Christian Helbock verhält sich zu einem Film von Martin Scorsese wie unsere Musik zur Musik von Michael Jackson.

Sigrid Ecker: Das ist ja auch nicht der Punkt; der Punkt ist, daß ich nicht Musik mache, weil ich mir denke, ich will jetzt jemanden erreichen, ich mache Musik, weil ich das für mich entdeckt habe, und prinzipiell würde es dann ja nicht um Kunst gehen, weil dann kann ich ja bei der politischen Agitation bleiben und mich immer noch an den Infostand stellen oder so was. Das sind in Wirklichkeit zwei verschiedene Paar Schuhe, die man probiert, gleichzeitig anzuhaben und in ihnen zu gehen.

Helmut Heiland: Obwohl, bei mir ist das doch etwas anders. Mit der Punkband, die ich von 1980 an hatte, war das am Anfang schon vom Kopf her das Ziel, zu agitieren, Parolen schwingen, um Dinge in Bewegung zu bringen. Vielleicht war das auch nur vorgesetzt damals oder vorgeschoben. Also erstmal so eine persönliche Rebellion, ich war dann aber auch schon in antimiltaristische Arbeit involviert; und damals war das für mich ein ganz klarer Zugang mit dem, was ich da machte; eigentlich war der musikalische Wert nicht sehr groß. Später bin ich dann erst darauf gekommen, daß eine ästhetische Form an sich auch etwas sehr politisches haben kann. Ich glaube eben auch, daß Instrumentalmusik etwas sehr politisches sein kann.

Ja klar, nimm' doch nur mal Free Jazz in den 60ern in Amerika.

Helmut Heiland: Ja also das war mir damals noch fremd, das hat sich erst langsam entwickelt.

Die Bereitschaft der - nennen wir sie mal - Polit-Linken, sich mit ihnen fremder Ästhetik oder überhaupt ästhetischen Fragen auseinanderzusetzen, ist aber doch meist sehr gering; in den "Biotopen", wie unabhängige Jugendzentren oder besetzte Häuser, da erreicht doch in erster Linie nur Punk/HC, seit zwei Jahren vielleicht noch HipHop Leute.

Helmut Heiland: Das ist die Frage, ob das in der praktischen Ausrichtung so stimmt; ich glaube, etwas ganz Wesentliches, um überhaupt 'was zu erreichen, ist Beharrlichkeit und Geduld. Und die hat man, wenn man "offener" ist, länger.

Mex Wolfsteiner: THE MORE EXTENDED VERSIONS und auch die EXTENDED VERSIONS sind ein Beispiel dafür, daß sich auch solche Leute mit Ästhetik oder "schöner" Musik auseinandersetzen. In Wien ist das schon einzigartig, daß sich mittlerweile Leute aus der Politszene und aus der Punkszene solche Musik anhören. Musik, die als Jazz oder Pop oder Kitsch kategorisiert wird; das ist, glaube ich auch, Beharrlichkeit: man muß die Leute darauf hinweisen, daß es auch 'was Anderes gibt.

Christof Kurzmann: Wobei der Zugang für diese Leute schon der war, daß wir die pc-Band waren. Also wir sind korrekt, gehen nicht zum Militär und weiß ich was. Da haben sie sich mal verpflichtet gefühlt, hinzugehen. Das ist natürlich im ersten Moment nichts Tolles. Aber bei ein paar glaube ich schon, daß sie inzwischen dahintergekommen sind, um was es geht. Es gibt natürlich immer noch die, die deswegen hingehen, weil es angesagt ist. Aber als Weg ist das eine Möglichkeit, die Leute so heranzuholen.

Weiß eigentlich einer, wie Karlsruhe gespielt hat?

Christof Kurzmann: Ein Buchtip - Katarina Witt: Meine Jahre zwischen Pflicht und Kür, C.Bertelsmann Verlag - Ööööh..... I würd gern die Katharina Witt mal treffen.

Sigrid Ecker: I würd gern den Robert Wyatt mal treffen.

Christof Kurzmann: Das sowieso.

(erschienen 05-1994, TERZ Düsseldorf)

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