Rosemarie Trockel - Arme Kunst

Text: Andreas Reihse Fotos: Nancy Paris

Post-Menopause - Rosemarie Trockel im Kölner Museum Ludwig

Falls einer der intro-Leser sie nicht kennen sollte: Rosemarie Trockel ist die Größte, Tollste, Lebende und Lebendigste aller zeitgenössischen Künstler & Künstlerinnen. Und in dieser Position seit Jahrzehnten.

Dabei sind ihre Arbeiten nicht modisch, aber immer modern, nicht avantgardistisch, dafür immer revolutionär. Nie vertrackt, nie versteckt, immer Pop, immer Dafür. Und hinter der sofort zupackenden Oberfläche eben auch unendlich tief. Wie blass dagegen der gehypte Künstlernachwuchs - sich in die Sicherheit einer einzigen Bildidee kalkulierend, während sie ohne Rücksicht auf Verluste schlaflos immer weiter schreitet: sich neu erfindet, aber mit unverkennbarer Handschrift, kämpferisch und ohne Absicherung.

POST-MENOPAUSE1 also, und alle sind begeistert: so zum Beispiel der Sponsor 'Deutsche Bank Stiftung', der auf seiner Webseite die Ausstellung bis eben noch mit 'Gespenst der Freiheit' (Arbeitstitel) bewarb und jetzt als 'Rosemarie Trockel2 Ausstellung'. Frauen, die altern, unschön genug, aber bitte nicht als künstlerisches Thema; mehr noch: sie setzt das fort in Collagen mit Mutter Theresa und 'Alte Frau' - Selbstportraits, einem goldenen runzeligen 'Hexen'-Kopf oder Armabgüssen in Gips - augenscheinlich nicht von einer Teenagerin.

STELL DIR VOR. Von vorne. Im Entree des Museums hängt eine unglaubliche neue Arbeit: 5 Meter lange Spaghettis mit Tomatensauce. Ein 20 Quadratmeter großer Vorhang aus Wollfäden läd ein zum Reinsitzen und führt in die Ausstellung: Essen und Hausmannskost (Herdplatten, Würste, 'No Meat Generation', Schokolade,...), der Genuss, das Körperliche/Erotische (Sexbildchen, nackte Haut, Nabelschnur, Muttermilch,...), das Arbeiten mit Wolle natürlich, und das Übertreiben, das Groteske, der Humor: das keine-Angst-vor-Peinlichkeiten.

LEBEN HEISST STRUMPFHOSEN STRICKEN. Laut Ankündigung liegt der Schwerpunkt auf den Strickbildern. Strikt gilt das nur für einen Raum. In ihm wurden alle Trennwände entfernt; so blicken die neueren Arbeiten auf die alten. Nenn' es große Montage oder Petersburger Hängung: von den maschinell-produzierten Serigrafien (Playboy-Bunnies, Hammer & Sichel, Wollsiegel, Hakenkreuz) über die Referenzen an andere Künstler, zu den abstrakten Motiven und den jüngst handgestrickten monochromen Formaten in nahezu Gurskyeskem Schlachtengemälde-Ausmaß.

Bilder aus Wolle sind uns heute vertraut. Trockel hat da nicht nur viele Nachahmer(innen) gefunden, auch die Beiträge der Kunstgeschichtler scheinen endlos: Kunst - Hobby/Basteln, Frauenkunst - Männerkunst, Computer - Handwerk, Feminismen, (Motten...), Nähmaschine/Schreibmaschine, Muster/Norm/Zuschreibung etc.

Dabei sollte man nicht vergessen, welche Empörung diese Arbeiten 1985 bei ihrem ersten Ausstellen provozierten, dass nämlich die niedere hausfräuliche Tätigkeit des Strickens hier als Kunst verkauft werden soll (und Wolle galt/gilt ja als 'armes' künstlerisches Material).

FÜR DIE, DIE KEINE STRICKBILDER MÖGEN, ABER TROTZDEM KOMMUNISTEN SIND: Die beiden anderen Räume erweitern das Wollthema -oder eher: zeigen, wo in anderen Werkgruppen Wolle oder Stoff auftaucht oder auch auftauchen könnte: zwei riesige Setzkästen voller Arbeiten, eine Bücherecke mit erfundenen Titeln, 'Moving Walls', eine 'Brust', die Milch in einen Gerichtsaal spritzt (was ein Roboter aufwischt), Collagen, Püppchen, Kölscher Katholizismus, Körperteile. Das Alles ist neben allem anderen, eben auch souverän3 und unwahrscheinlich schön. Was dann neben 'Künstler als Hofnarr' der Punkt ist, wo dann doch auch der CDU-Wähler als Sammler einsteigen kann - bei solch einer politisch-bewussten und radikalen Künstlerin (und das liest man eigentlich an jedem ihrer Werke ab). Aber man fragt sich, was die Arbeiten da machen, mit den Besitzern.

SUN OF A PREACHER MAN. Die Titel ihrer Arbeiten weisen auf Literatur, auf Philosophie, auf Popsongs, auf andere Bilder oder Künstler: zum Nachschlagen, Weiterlesen - muss man aber nicht, denn das sind auch Namen, Worte, Dinge, die einfach so rumliegen, im Regal stehen oder sich vor Jahren ins Gehirn eingebrannt haben, aus geheimen Tagebüchern oder aus einer Spex von 1983. Postmodern? ich weiss nicht, jedenfalls brauchst Du kein Dictionary, schau einfach hin, sie war gar nie weg, sie ist längst in der Moderne, und neben all den Referenzen, die sie zwar manchmal verdreht, aber immer offen hinlegt, ist da noch etwas Rätselhaftes, Geheimes, etwas, womit sie sich wahrscheinlich auch selbst überrascht.

Shostakowitsch erzählt in seiner Autobiografie vom verzweifelten Pianisten, der keinen neuen Ansatz fand beim Spielen bekannter Werke; er rät ihm, statt der gegebenen Melodie zu folgen sich aus der Polyphonie des Stückes seine eigene zu suchen. Das will ich hier an Euch weitergeben: schaut Euch die Arbeiten von Rosemarie Trockel an, wenn Ihr nicht nach Köln kommen könnt, dann kauft Euch den Katalog oder, von mir aus, nehmt die Google Bilder Suche, geht rein in diese Welten und staunt, wo Ihr plötzlich rauskommt.

 
Anmerkungen:

(Die Zwischenüberschriften sind Titel von Arbeiten von Rosemarie Trockel.)

1 POST-MENOPAUSE: Etwa mit 51. Jahren stoppen die Eierstöcke die Produktion von Östrogen und Progesteron. Nebennierendrüsen und Fettzellen produzieren weiterhin Östrogen, jedoch nur etwa 40 Prozent der früheren Menge. Der Hormonmangel ist verantworlich für Fettpolster, 'männliche' Krankheitsbilder (Cholesterin, Bluthochdruck, Haarausfall etc.) und auch für Osteoporosis.

2 ROSEMARIE TROCKEL ist ein Song des japanischen Musikers Cubismo Grafico a.k.a. Gakuji Matsuda.

3 SOUVERÄN: Rosemarie Trockel für den Erhalt der Kölner Kunsthalle/ für Kinder/ für Tiere/ für Brigitte Bardot/ für ihre StudentInnen/ und mehr, hier: Loch e.V., Herdplatten , Häuser für verschiedene Tiere... [mit Carsten Höller]: Mögen Sie Mücken?, - , Maisons/Häuser [Walter König], Spleen [Diacenter NYC 2003/04], I Will [Theaterstück im Düsseldorfer Schauspielhaus], Manus Spleen [videos]: Manus Spleen I, Manus Spleen II, Manus Spleen II [alt.], Manus Spleen III, Manus Spleen IV, Walk with me [ein Clip für 'Dornbracht'], (Musik von Thomas Brinkmann), It was dark, it was cold and we had drunk a lot [ein Clip für 'Dornbracht'], (Musik von Aksel Schauffler), Verflüssigung/Liquefaction [video], (Musik von Andreas Reihse), Mehr Videos und Standbilder auf: www.chbp.com, Rosemarie Trockel: "Pierre Klossowski/Pierre Zucca: lebendes Geld (1982)", "Rosemarie Trockel" Cubismo Grafico MP3 z.B. bei: itunes, finetunes, mp3.de
Biografie, Ausstellungen etc., [SpruethMagers.com], Biografie, [Deutsche Welle]

Intro, 12 2005