"Martin Kippenberger (1953 - 1997) - "Einer von Euch/ unter Euch/ mit Euch"

Vor etwa einem Jahr war ich von der Tate Modern eingeladen, zur Eröffnung der Martin Kippenberger Retrospektive in London Musik zu machen: One of you/ Amongst you/ With you. Der Abend kündigte sich etwas seltsam an, weil es nicht etwa um eine Aftershow-Party ging, sondern um ein 'Atmosphäre schaffen während der zweieinhalb Stunden dauernden Eröffnung'.

Mein Arbeitsplatz war aufgebaut zwischen Ein- und Ausgang des Ausstellungsbereichs und beschallte gegenüberliegend Alkoholikastand und Buchladen. Hinter mir an der Wand ein paar Dutzend Plakate, von Kippenberger gestaltet. Die Musik sollte nicht zu laut, nicht zu schnell und nicht zu schräg sein. Ich spielte dann zwei Stücke von ihm Ja Ja Ne Ne - Für Erwachsene - seine Technoversion des Josef Beuys Hits (zu laut und zu schnell...) - und Bang Bang - seine Coverversion des Sonny Bono-Stückes (...zu schräg). Die Boxen wurden immer weiter Richtung Ausgang gedreht, vor dem Eingang sammelten sich verwirrte ältere Sammler: "Sind Sie auch ein alter Freund vom Martin?" Nein. "Ist denn alles, was Sie hier spielen, Musik vom Martin?" Nein. "Sie haben ja Schallplatten!" Ja.

Auch wenn die Eröffnung ausschließlich für geladene Gäste war, wurde es ein netter feuchtfröhlicher Abend, vielleicht etwas zu deutschsprachig, die Ausstellung dafür um so tatemodernish und... na eben museal.

Letzteres waren die Kritikpunkte einiger jüngerer Besucher, allerdings hatten sie auch keine Idee einer anderen Art der Präsentation. Man hätte sich ja auch darüber freuen können, in London überhaupt mal eine Übersicht über den Künstler Kippenberger zu sehen. Natürlich ist die Auseinandersetzung mit Kunst heute woanders, aber nach wie vor sind nicht nur viele seiner Arbeiten inspirierend, sondern auch sein Arbeiten an sich - mit welcher Leichtigkeit und Humor hier einer ein ernsthaft konzentriertes Abarbeiten an Malerei, Bildhauerei, Installation oder der Gestaltung von Künstlerbüchern, Einladungen und Plakaten betrieben hatte. Wie er auch immer wieder das Künstlerbild, unterstellte Genialität oder Abbildung und Abbild in Frage stellt - beispielsweise Arbeiten von anderen Künstlern integriert oder von einem Assistenten ausgeführte Malerei vernichtet, davor aber kopiert und diese Kopien zusammen mit dem Müllcontainer der zerstörten misslungen Gemälde ausstellt - oder wie er auf Zurufe von außen reagiert - so sich in die Ecke stellt, um sich zu schämen, weil jemand ihn als not politically correct bezeichnete (eine moralische Kategorie, die ihn sicher nie interessierte) oder einen Schuljungen seine Arbeiten benoten lässt. Trotz des Flairs der 1980er Jahre, das viele Arbeiten umweht, wirkt das doch oft sehr frisch und richtig. Nicht nur in Bezug auf diesen ganzen Haufen jämmerlicher Epigonen, sondern generell auf das Bild, was heute stellvertretend für seine Kunst kolportiert wird, dass Er nämlich gerne soff, provozierte und rumalberte, ein Macho, ein Sexist, vielleicht ein Zyniker war, aber vor allem ein Kumpeltyp: der weiter lebt als Anekdote - erzählt von eher unangenehmen Zeitgenossen, die ihn Martin oder Kippi rufen, und von denen er einige zum Millionär gemacht hat.

Daran ist er natürlich alles andere als unschuldig: "...ich arbeite daran, daß die Leute sagen können: Kippenberger war gute Laune." erzählte er 1991 Jutta Koether in dem im folgenden abgedruckten Interview. Und nicht nur das: er war ein Öffentlichkeitsmensch, der seine Auftritte sorgfältig inszenierte, der beeindruckte, weil er mit Künstlerfreunden - z.B. den Oehlen Brüdern, mit Georg Herold, mit Werner Büttner - wie eine RocknRollband, wie eine Gang auftrat, der zu laut sprach, Witze umständlichst erzählte, weil er eine ganze Lebensphilosophie hineinpacken wollte, der sagte: "einer meiner größten Charakterzüge ist einfach, daß ich gerne angebe" (ebd.), Ein Partymensch, der vermutete, dass seine Anerkennung als Künstler nur mit einer extremen ständigen Präsenz einhergehen kann, der auch in seinen künstlerischen Arbeiten immer wieder Privatestes veröffentlichte, und das alles vielleicht doch nur, um dahinter seine Verletzlichkeit, Sensibilität und Einsamkeit zu verbergen.

Ein anderes Paradox war, dass er bei allem Sichtbarsein doch die meiste Zeit im Atelier verbracht haben musste, wie sonst ist dieses ungeheure Konvolut an Arbeiten zu erklären, was er hinterlassen hat (- selbst wenn man berücksichtigt, dass über die öffentlichgemachte Auftragsmalerei von 'Lieber Maler, male mir...' oder 'Heavy Burschi' hinaus auch vieles Andere von Assistenten ausgeführt wurde).

Das erinnert an Warhol, auch wenn es natürlich nicht von dessen durchgehend hoher Qualität ist: "Vorsichtig ausgedrückt kann man sagen: Die eine Hälfte von Kippenbergers Werk kann man wegschmeißen, die andere Hälfte ist sehr gut." erzählte Werner Büttner in der Welt am Sonntag Max Dax.

Ob da noch ein nichtöffentliches Leben statt fand? Denn es lag ihm ja nicht nur die eigene künstlerische Produktion am Herzen, er unterstütze andere Künstler, sammelte sie, kollaborierte, kuratierte, gründete einen Kunstverein in Kassel und das Museum MOMAS auf der griechischen Insel Syros, lehrte unter anderem in Frankfurt, Nizza, Yale, entwickelte METRO-Net - ein weltweites U-Bahn-Netz (teilrealisiert in Form von Eingängen und Lüftungsschächten...) von U-Bahn Haltestellen, reiste mit Künstlerfreunden beinahe rastlos um die Welt.

Das verbindende Element hinter all seinen Tätigkeiten lautet Kommunikation: Dranbleiben an den Leuten, Verknüpfungen herstellen, etwas bewegen. Und da näherte er sich von der anderen Seite vielleicht doch einem Beuys.

Die großen Einladungen blieben jedoch aus, weil "viele Museumsleute (...) in Deutschland in den achtziger Jahren ja der Meinung (waren), daß Humor in der Kunst nichts zu suchen hat", so seine Schwester Susanne in der WAMS und weiter: weil "Martin immer wieder auch jene provoziert und beleidigt hat, die ihn hätten ausstellen und fördern können". Und er selbst, Jutta Koether gegenüber: "... bevor ich die Anerkennungen bekomme, wie Im-Museum-Hängen, sehe ich eher die Museumsdirektoren hängen, denn das wird nicht geschehen", obwohl - ironisch vielleicht, aber ohne Selbstzweifel hier - "jeder jetzt schon weiß, dass ich derjenige bin, der die achtziger Jahre erfasst hat."

Da half nur Angriff: da er zu seinem Unverständnis zeitlebens nie für den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig ausgewählt wurde, organisierte er vor Ort die eigene Ausstellung selbst; Bitterkeit blieb natürlich. Posthum wurde übrigens ein METRO-Net Lüftungsschacht gezeigt, 2003 war das ja dann akademisch ausreichend abgesichert ( - natürlich muss man anmerken, dass jeder Kurator Verpflichtungen Kunsthäusern oder Privatsammlern gegenüber hat, und in jenem Jahr passten da eben Kippenberger und Candida Höfer). In Berlin organisierte er Metropolis "als Kontrapunkt zur Documenta in Kassel". Posthum lag dann ein METRO-Net Eingang vor der Documenta. Auch The Happy End of Franz Kafkas Amerika von 1994, eine großflächige Installation, mit Stühlen, Tischen, Gerümpel, motorbetriebenen Teilen, hineingearbeiten Fremd- und älteren eigenen Werken - das Bruchstück von Kafka zu Ende gedacht, rätselhaft verwirrend, mäandernd, in viele Richtungen weisend - wurde erst Jahre nach seinem Tode wirklich als das wahrgenommen, was Kippenberger schon damals formuliert hat, nicht nur ein Schlüsselwerk, sondern (s)ein Meisterstück.

Im Gespräch mit Jutta Koether spürt man, dass da einer auch auf der Suche ist, nach einem Künstlerselbstverständnis, was noch funktioniert: wie Freund und Fan Galerist Christian Nagel in der WAMS sagt: "Er wollte eigentlich am liebsten Picasso, Beuys und Warhol zusammen sein." Dabei wußte er genau, dass das nicht mehr ging. Und sein Leben war da vielleicht auch ein Experiment, da ihm alle role-models abhanden gekommen waren. Und er probierte sich ja auch als Schriftsteller, als Schauspieler aus, als Popmusiker mit unzähligen Projekten und Veröffentlichungen sowieso. Und er konnte sich durchaus mit Distanz betrachten und seine Arbeit auch.

Das wirkte auf viele nicht seriös genug, seine Person, sein Witz und sein Spielen mit dem Kunstbetrieb, bot zu viel Angriffsfläche und stand der künstlerischen Anerkennung zu Lebzeiten wohl doch im Wege.

(Spex Februar 2007)