Georgia on my Mind Text: Andreas Reihse Bild: Marika Asatiani Als der frisch gewählte georgische Präsident Michail Saakarshvili auf seinen Antrittsbesuch in Deutschland einen inoffiziellen Termin in einem Berliner Hotel folgen lies, beging er einen Denkfehler: vor interessierter georgischer Jugend warb er inständig darum, dass diese in ihr Heimatland zurückkehren mögen, ihm dabei zu helfen, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Sein Fehler bestand nicht so sehr darin, zu glauben, dass junge Menschen ein Interesse hätten, an Staatsmacht mitzuarbeiten, wo es doch genau die Schönheit der Jugend - wie im späteren Alter nur noch die des Intellektuellen, Künstlerischtätigen - ausmacht, der Regierung, und zwar egal welcher, zu mistrauen und gegen sie zu sein, sondern darin, dass er glaubte, sie seien weggegangen: das sind sie nämlich nicht.
Anfang der 1990er Jahre fuhren drei 21jährige Mädchen nach Amsterdam. Sie hatten ihr Kunststudium in Tbilisi beendet, sich an der Gerit-Rietveld-Akademie beworben und es tatsächlich geschafft, drei der begehrten Postgraduate-Plätze zu kriegen. Die Ausbildung in Georgien ist handwerklich umfassend, aber "alles, was ich an Kunst nach 1950 kannte, war eine Andy Warhol Postkarte mit einer silber grauen Fotografie von Josef Beuys. Also eigentlich nur ein Portrait", erzählt Marika Fifinua.
"Amsterdam war zuerst nur schockierend, alles: das Essen, was für Jobs man angeboten bekam, der Umgang mit Sexualität; wir waren zum ersten Mal ausserhalb unseres Familien-und Freundeskreises, mussten alles selbst organisieren und hatten kein Geld; wir gewöhnten uns etwas daran, die Schule war natürlich gut, aber das Leben blieb deprimierend. Meine Freundin und ich wechselten nach einem Jahr auf die Akademie nach Düsseldorf; ich sprach nur englisch, ich wußte, ich werde sowieso nie in Deutschland bleiben, es ging mir nicht gut hier. Das änderte sich erst nach vier Jahren." Heute hat sie ein unbefristetes Künstlervisum und sagt, sie könne "nicht in einem Land leben, in dem man Kippenberger nicht versteht." Damit meint sie Georgien. Aber hier zuhause fühlt sie sich auch nicht.
Das hat sie gemeinsam mit ihren Freunden, die verstreut in der Welt leben - Kippenberger mag man ersetzen durch Paradjanov, Foucault, Zaha Hadid oder auch Homosexualität.
"Homosexualität ist eine Krankheit und kommt aus dem Westen", erzählt der in Berlin lebende Philosoph Giorgi Maisuradze, "das ist die öffentliche Meinung. Das gleiche gilt für 'Emanzipation'. Selbst der Vorsitzende der sogenannten 'Arbeiterpartei' sagte neulich in einem Interview, ,wenn ich mich in eine Frau verlieben soll, muss sie Jungfrau sein'. Was sich in den letzten Jahren aber auch geändert hat, ist ein aufflackernder Antisemitismus, den gab es nie in Georgien, nicht nur offiziell als Staatliche Doktrin sondern - viel wichtiger - in der Bevölkerung. Nach dem Ende der Sovietunion unter dem Präsidenten Gamsarchurdia fing das an; sein Sohn, der aus der Schweiz zurückgekehrt ist und eine Partei gegründet hat, ist ein glühender Antisemit, der von der jüdischen Weltverschwörung faselt und der Gefährdung Georgiens." Doch nach wie vor gibt es in Tbilisi ein Viertel, in dem Synagoge neben Kirche neben Moschee steht und Juden, Christen und Moslems friedlich zusammen leben (etwas, was in der Tagesschau nicht stattfindet, aber Freunde auch aus Teheran berichten).
In Georgien ist alles lokal verortet. Kriterien der 'Aussenwelt' existiert kaum. Erst kürzlich gab es ein Hochschul-Reformgesetz und alle älteren Professoren wurden entlassen; so auch Giorgis Vater: "Wissen hat keinen Wert. Es gab beispielsweise keinen Nachfolger für 'deutsche Lyrik'; aber irgendeiner kriegt die Stelle, nur weil er jung ist, gibt sich als Experte aus und entscheidet jetzt, wo es lang geht, selbst, wenn er nichtmal Deutsch spricht."
Giorgi war politisch immer aktiv, in der Studentenbewegung kämpfte er für die Unabhängigkeit Georgiens, dann gegen den rechtsextremen Präsidenten Gamsarchurdia. Er studierte in Saarbrücken und kehrte 1993 zurück nach Tbilisi: "das Land war paralysiert, eine Kleptokratie, beherrscht von bewaffneten Banden. Shevardnadze war der Hoffnungsträger. Allerdings mit einer Partei ohne Ideologie: linksliberal oder konservativ? - man war einfach für oder gegen ihn." Giorgi war mit 21 Jahren (!) Stadtratsabgeordeter, mit 23 (!!) stellvertretender Parteivorsitzender. Mit 24 zog er sich zurück: "Ich war enttäuscht. Allein durch meine Anwesenheit in der Politik fühlte ich mich korrupt. Shevardnadze war seit dem Wahlsieg 1995 ein Anderer: populistisch, seine Inauguration fand in der Kirche statt - das gab es nichtmal bei Gamsachurdia -, alte sovietische Seilschaften und die georgische Mafia wurden mächtiger. Ich war dann aktiv an der Universität, ehrlich gesagt, führte ich die politische Tätigkeit weiter nur mit anderen Mitteln. Bis 1998. Da bin ich drei Wochen vor dem Staatsexamen abgehauen - das bereue ich heute. Ich schrieb an meiner Doktorarbeit, ich fühlte mich toll. Am Tag, als ich meinen Text zum Universitätsverlag brachte, traf ich einen sehr guten Freund: er fragte, was mein Thema sei, ich sagte 'Phalozentrismus' und er: 'ahh Schwänze!' - ich war so enttäuscht, dass er es nur auf eine vulgäre Ebene zog, selbst er, ein Freund. Ich war entrüstet und angeekelt. Ich hatte in diesem Jahr elf Fernsehbeiträge produziert, Texte veröffentlicht, Veranstaltungen organisiert, und in diesem Moment gemerkt, was Du auch tust, es interessiert hier niemanden, es bedeutet nichts, es ist überflüssig. Ich hatte ein einjähriges Auslands-Stipendium, aber mir war klar, ich werde nicht zurückkehren."
"In Berlin angekommen, ging ich durch die Strassen und mußte loslachen vor Freude, es war so ein Glücksgefühl, spazierenzugehen. In Tbilisi wohnte ich 300 Meter weg von meinem Freund Gogi Dzodzuashvili ('Postmodern Boys'), aber oft hatten wir Angst, uns zu besuchen, wegen der Polizeiwillkür; Shevardnadze war alt geworden, Korruption und Schutzgelder regierten. Also, das ist schon ein Verdienst von Saakarshvili, dass sich das geändert hat." Ansonsten hält er nicht viel von dem neuen Präsidenten. "Ich war letztes Jahr nach sechs Jahren zum ersten Mal wieder in Tbilisi; ich habe mich nicht wirklich wohl gefühlt. Zurück in Berlin habe ich gemerkt, wie abartig das ist, wie alle bei der offiziellen Politik mitmachen, bewußt oder unbewußt - selbst meine alten Freunde, die denken sie verhalten sich kritisch. Ich will darüber schreiben, wie nach der 'Rosenrevolution' Begriffe und Symbole missbraucht werden, wie die georgische Bevölkerung hinters Licht geführt wird." Giorgi ist nicht der Einzige, der glaubt, mit dem Land abgeschlossen zu haben, mit seiner politischen Laufbahn hatte er auch mehr investiert als andere, "manchmal habe ich eine Sehnsucht, aber dann doch das Bewußtsein, dass es das, was ich suche, nicht mehr gibt. Also: Heimweh? Nein."
"Vor der Westöffnung oder gar Amerikanisierung habe ich keine Angst - solange unsere Sprache und Schrift bleibt, wird das Land diese seltsame Identität behalten", erzählt Zaza Rusadze. Der heute dreißigjährige Filmemacher lebt zur Zeit in Amsterdam, er hat ein Stipendium am 'Binger Filmlab'. In Georgien war er ein Kinder-Star: mit Zwölf wurde er Moderator einer Fernsehsendung. Er reiste um die Welt und berichtete dann beispielsweise aus einem McDonalds in Chicago - es war die Zeit der Perestroika. Mit Sechzehn konnte er nicht mehr, einerseits unentwegt Autogramme schreibend und Gast auf allen Parties internationaler Journalisten (Georgien war ein heisses Thema, gerade von der Sovietunion losgesagt, Shevardnadze neben Genscher die Kraft hinter der Deutschen Wiedervereinigung) andererseits von vielen Jugendlichen genau deswegen verachtet. "Fernsehen wollte ich nicht mehr, Film schon, und weg wollte ich." Er bewarb sich in Babelsberg: "es herrschte Bürgerkrieg, ich musste meine Fotos selbst entwickeln; die Chemikalien waren schon so oft benutzt, dass meine Abzüge sepiafarben wurden; ich konnte meine schriftlichen Arbeiten nirgendwo ausdrucken, so schrieb ich alles mit der Hand. Ich glaube, das waren die Gründe, warum ich genommen wurde", erzählt er bescheiden.
Zaza erreichte 2003 internationale Anerkennung mit seinem Film "Bandits", dem Versuch einer Rekonstruktion, was in der Georgischen Sovietrepublik wirklich passierte, als ein paar Jugendliche ein Flugzeug entführten; er arbeite bei vielen europäisch-georgischen Co-Produktionen, er drehte ein Feature über ein Mädchen aus Batumi. Sein aktuelles Projekt 'Storm in a Cup' ist ein fantastischer Spielfilm, angelegt in einem postsovietischen Land - nicht explizit Georgien: "Natürlich haben meine Filme alle irgendwie mit mir und meiner Herkunft zu tun. Aber ich würde nie hingehen, ein Drehbuch zu schreiben: '18jähriger Junge landet in Schönefeld und steigt in die S-Bahn nach Berlin' - klar, für so was würde ich sofort Fördergelder kriegen. Aber man muss doch auch einen Schritt weitergehen, das sehe ich zur Zeit zwar kaum, alle bewegen sich nur noch in abgesicherten Rahmen. Salome Machaidze's Film ist da sehr mutig. Sie hatte sich einen Punkt gewählt, den sie schon nicht wirklich kannte, also wird das jetzt ein Spielfilm oder Kunst oder überhaupt ein Film, und 'Trigger Tiger' dann als Annäherung an diesen Punkt geplant, dann aber einen noch entfernteren Ort weit über diesen Punkt hinaus angesteuert. Also völlig egal, wie die Rezeption ist, aber dass da jemand etwas wagt, wo er selbst nicht weiss, was das jetzt ist oder wird und dafür jahrelang kämpft."
'Trigger Tiger' ist Salomes erster abendfüllender Film. Die experimentell-apokalyptische Fortsetzung zu Petersen's 'Das Boot' hatte letzten November Premiere in der ausverkauften Berliner Volksbühne. "Nein in Georgien hätte ich den Film niemals machen können. Ich glaube, ich wäre dort nie darauf gekommen, überhaupt Filme zu machen. Die Gesellschaft, in der ich aufwuchs, war konservativ - heute ist das vielleicht anders, aber damals war man gezwungen, sich anzupassen. Nach dem Ende der Sovietunion und während des Bürgerkrieges gab es auch andere Probleme, wie kriegt man Essen, wie kriegt man Strom oder Gas - man konnte nicht über Filme träumen. Ich hatte Malerei studiert, aber es gab keine Möglichkeit, Kunst zu machen. Wir organisierten Ausstellungen selbst, was ging, solange es kein Geld kostete."
Dennoch war Kino immer präsent: "Freunde brachten Videos aus dem Ausland mit, wir schauten Filme nonstop - wirklich nur tolle Sachen; es gab auch nichts anderes, man konnte ja zum Bespiel nicht Ausgehen." Salomes frühverstorbener Vater war Assistent des Regisseurs Otar Ioseliani, ein Onkel war Kameramann, ein zweiter, der Vater von Nika 'Nikakoi' Machaidze, hatte ein Filmstudio. "Film war schon Alltag in meiner Kindheit, mit meinem 'Bruder' Nika hatte ich immer beim Filmschnitt zugeschaut oder bei Dreharbeiten."
Salome Machaidze sagt, sie brauche das Zerrissene, was Berlin hat, weil es einfach ihren Lebensumständen entspreche. "Nur jetzt nach 'Trigger Tiger' bin ich so müde, da will ich nach Wuppertal ziehen oder in eine kleine Schweizer Stadt", lacht sie. Oder zurück nach Tbilisi? - "Eigentlich schwierig. Eigentlich will ich sehr oft da sein, aber dort leben, kann ich mir nicht vorstellen; oder nur theoretisch, in Zukunft: eine Familie haben." Salome weiss aber auch, dass sie als Einzelkind eines Tages zurück muss, sich um ihre Mutter zu kümmern. Sie sagt, sie will irgendwann so arbeiten können, dass dies unabhängig vom Ort ist.
"'Trigger Tiger', das ist schon ein georgischer Film," erzählt Produzentin Tamuna Karumidze, "wir wollten daher, dass sich Georgien daran beteiligt, gerade weil sich eigentlich niemand wirklich interessiert dort, darum haben wir das auch so präsentiert, das sei ein georgischer Film, aber eben in Deutschland produziert, weil es in Georgien nicht möglich wäre. So sind wir auch ans Kultur-Ministerium rangetreten und haben, überraschenderweise, ein paar Fördergelder gekriegt. Das war sogar ein kleiner Skandal, man weiss ja überall, wer in diesen Gremien sitzt, und wie mafiös die Gelder verschoben werden. Als wir weiteres Geld für die Postproduktion beantragten und den Rohschnitt zeigten, gab es leider nichts mehr" - lacht sie.
Tamuna hatte vor einigen Jahren einen lakonischen Dokumentarfilm über Tbilisi gedreht: 'Sahexi 708'. "Ich war lange nicht in Georgien, ich wollte gar keinen Film drehen, ich wollte nur beobachten, das war alles so spannend. Ich filmte monatelang, also die ganze Zeit: Kamera am Auge, bis es die Leute gar nicht mehr wahrnahmen, Tamuna + Kamera war Normalität. Und alle begannen sich natürlich zu benehmen. Erst da entstand die Idee, daraus einen Film zu machen. Der Titel bezieht sich auf ein Kraftwerk in der Nähe von Tbilisi, und im Film sind 708 Schnitte, aber das sollte wie eine Adresse sein und der Film den Zustand, die Energie der Gesellschaft zu dieser Zeit beschreiben." Tamuna ging weg aus Tbilisi als sie 18 war. Auch während des Bürgerkrieges. Dass sie heute in Berlin lebt ist Zufall: "Ich hatte in Tbilisi Leute aus Berlin kennengelernt, die luden mich ein. Ich sprach ziemlich gut englisch, und sah das nur als Schritt auf dem Weg nach Amerika. Mittlerweile bin ich seit 13 Jahren hier und fühle mich auch sehr wohl. Allerdings, sobald ich an keinem Projekt arbeite, fühle ich mich unwohl, also 'einfach leben' geht nicht. Dann denke ich, wenn ich nichts mache, dann könnte ich genauso gut in Tbilisi sein oder sonstwo, wo es wärmer oder schöner ist." 2004 hatte sie das probiert. Ein Auto gekauft, vollgeladen und zurück nach Georgien, "aber es war nicht einfach, dort wieder zu leben. Als Salome nach acht Monaten wegen 'Trigger Tiger' angerufen hatte, habe ich das erst noch so formuliert, ich lebe wieder hier und fahre zur Arbeit nach Deutschland. Angeblich. In Wahrheit funktionierte die Idee, nach Tbilisi zurückzugehen, nicht."
Gio Sumbadze lebt in Tbilisi. Er ist Künstler. Und als solcher auch ein Weltenbummler. Er ist der Namensgeber von 'Goslab' - ein Kunstwort aus dem Russischen entlehnt. 'Staatslaboratorium' - vielleicht was Ähnliches wie Arno Schmidt's 'Gelehrtenrepublik' - also zwischen Humor und Arroganz. Natürlich mit eleganter und schillernder Oberfläche. Ein lockerer Zusammenhalt von Freunden, die Familie, die sich gesucht hat, eine freie Republik, die den Individualismus fördert und fordert. Manche leben in Tbilisi, manche in Europa. Sie halten ständig Kontakt: wenn man sich nicht besuchen kann, dann telefonieren sie täglich miteinander. Sie sind unterwegs. Sie reisen. Jeder hat ein Laptop. DSL, Flatrate, call-by-call, E-Mails, Chatten, Filesharing, Airport, web2 natürlich. Sie skypen, manchmal ist die Leitung einfach nur offen, jeder arbeitet für sich, schaut ab und zu in die Kamera. Elektronische Zweisamkeit.
"Warum ich weg bin, kann ich gar nicht sagen. Aber vor etwa einem Jahr wurde mir klar, dass ich nicht wieder zurückkehren werde - bis dahin war das offen. Ich habe gemerkt, dass mich zuviel Sachen dort stören, Dinge, über die ich gelacht hatte, die ich immer romantisiert hatte, aber das geht einfach nicht mehr. Und ich habe keinen Raum dort, also wirklich, zum Denken, frei denken, und auch physisch. Es ist zu eng," erzählt Tusja 'Tba' Beridze - die in der Eifel mit Thomas Brinkmann lebt. In Georgien leben mehrere Generationen unter einem Dach. Haus oder Wohnung sind meist in Familienbesitz. Das Konzept Altersheim ist für einen Georgier ungeheuerlich. Das hat Vorteile bei der Haushaltsführung und natürlich eine emotionale Schönheit; aber eben auch die Bewegungsunmöglichkeit von der Tusja spricht.
Zaza:"Wenn man im 'Westen' geliebt wird, dann hat man etwas dafür getan - das ist mir lieber. In Georgien wird man einfach so geliebt; das heisst dann aber auch, dass man keine Wahl hat; es ist immer alles schon für einen entschieden, ob Literatur, Film, gesellschaftliche Prozesse: 'WIR finden das gut.' Ich meine, das gibt es überall, aber in Georgien ist das extremer. Also auch: WIR finden das NICHT gut. Es gibt keine Alternative in Georgien. Shevardnadze kam, man war für ihn. Dann kam Saakarshvili. Man mußte für ihn sein."
Und zur Emotionalität: "Letzten Sommer in Batumi am Schwarzen Meer, war es ein wundervoller Abend: wir schauten auf den Sonnenuntergang, und ein Freund machte Fisch für uns alle. Am nächsten Tag war sein Vater gestorben. Und so ist das einfach ständig in Georgien. Es gibt nur heiss oder kalt. Kein lauwarm. Viele Menschen dort denken, dieser Punkt, wo man zur Ruhe kommt, sich mal distanzieren kann, das, was es in Westeuropa gibt, sei der Tod. Also Westeuropa ist tot. Aber wenn ich in Berlin bin und sehe eine Rasenfläche mit dem Schild 'Liegewiese' - also das Schild bräuchte ich nicht umbedingt -, aber dass ich mich auf eine Wiese legen kann und einfach mal ausruhen, das macht mich so glücklich."
Wenn woanders Menschenansammlungen als Bedrohung gesehen werden, ist es in Georgien der Einzelne. Wer sich zurückzieht gilt als verdächtig, wer alleine nachts spazierengeht wird von der Polizei angehalten; wer im Park sitzt und ein Buch liest, kann nichts Gutes im Sinn führen.
Vielleicht ein Exil, aber hier wie da: zweimal fremd im zweimal (nicht-)eigenen Land. Alle Georgier, die ich kenne, tragen eine Trauer in sich; eine Sehnsucht nach einer Zeit, die vielleicht gar nie da war, aber im Erinnern immer wahrer wird - und nochmals Zaza: "Ich weiss, dass viele diese Traurigkeit haben, weil sie auch nicht wissen, wo sie hingehören, ich habe diesen Punkt überwunden und finde das großartig und unheimlich bereichernd, zwischen diesen beiden Welten hin-und-herspringen zu können."
(Spex Februar 2007) |